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Kapitel 1: Rote Augen

Beschreibung: Der reisende Händler Leuven hält mit seinem Planwagen am Wegesrand, um sich auszuruhen, als er merkwürdige Geräusche aus dem Wald hört. Vielleicht wäre es für ihn besser gewesen, zu Hause zu bleiben, anstatt in die dunkle und brutale Welt hinauszugehen. Doch ein Fremder eilt ihm zu Hilfe. Dieser Fremde scheint jedoch kein normaler Mensch zu sein.

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Teil 3

Es war ruhig. Lediglich das laute Hämmern auf dem Amboss des Schmiedes klang über den Hof und das Geschwätz zweier Dienerinnen, die sich offensichtlich vor ihrer Arbeit drückten.

Evan ging weiter, bis er zum Speisesaal gelangte.

Marie hatte bereits am großen Holztisch Platz genommen. Sie stand auf, als sie den Halbdämon erblickte.

»Ihr seht gut aus«, sagte sie mit einem hämischen Lächeln.

Evan schob seinen Kragen zur Seite und verzog das Gesicht. »Es kratzt ein wenig.«

»Nun, während Ihr es Euch gemütlich gemacht habt, habe ich weiter geforscht.«

»Ich muss Euch wohl enttäuschen, ich habe auch etwas Interessantes erfahren.«

Die Seherin blickte ihn mit großen Augen an.

»Ich habe mit Petunia gesprochen.«

»Der Zwergin?«

»Richtig. Sie hat das Mädchen nie gesehen, weder in ihren Träumen noch im wachen Zustand. Das heißt…«

»Das bedeutet gar nichts. Nur weil ihr das Mädchen noch nicht erschienen ist, muss das nicht heißen, dass sie auch verschont bleibt.«

»Ich denke schon.«

»Wie kommt Ihr darauf?«

»Sie ist seit einer Woche am Hof. Der Geist erschien ungefähr eine Woche zuvor zum ersten Mal.«

»Also glaub Ihr, dass sie verschont blieb, weil sie erst später an den Hof kam?«

»Das habt Ihr nicht gesehen, oder?«

Die Seherin schaute ihn böse an. »Es kann aber auch ein Zufall sein.«

»Schlampige Herangehensweise, es gibt bei Geistern keine Zufälle. Vor zwei Wochen ist etwas geschehen und der Fürst hat uns noch nicht verraten, was es war.«

»Es wird Zeit, es herauszufinden«, sagte Marie, als sich die Tür knarzend öffnete und der Fürst in Begleitung seiner Gattin und Vermeer den Speisesaal betrat.

Die Frau des Fürsten wirkte kränklich. Ihre Augenlider und Wangen waren tief in ihr Gesicht gefallen, die Haare waren zerzaust. Auch wenn sie versuchte dies zu kaschieren, indem sie diese zu einem Zopf geflochten hatte. Es sprang Evan sofort in die Augen, genau wie ihre angeknabberten Fingernägel. Sie schien nervös, versuchte aber nach außen hin deutlich zu machen, dass sie von einem anderen Stand war, als die Gäste.

Marie, legte eine Hand auf ihre Brust und neigte ihren Oberkörper. »Herr Johan Dancker Fürst von Burg Haren und Frau Methild Dancker Gattin des Fürsten, ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft und bitte Ihnen die neuesten Erkenntnisse über das Unheil, das Ihre Burg heimsucht, vortragen zu dürfen.«

Evan hingegen dachte gar nicht daran, sich vor irgendeinem Adeligen zu bücken. Er verschränkte die Arme und nickte stattdessen.

Ein finsterer Blick der Seherin traf ihn.

»Ich wusste doch, dass es keine gute Entscheidung sein kann, irgendwelche Tunichtgute in die Burg zu lassen. Diese sollen also diesen Fluch von uns lösen?«, fauchte die Gattin des Fürsten und drängte sich an ihren Mann.

»Ich habe bereits meine Erfahrungen mit Geistern gemacht. Aber denkt über mich, was ihr wollt. Ich kann Euch von dem Geist befreien, aber ich kann den Hof auch verlassen«, gab Evan zurück, ohne auch nur einen Funken Respekt zu zeigen.

Er erkannte, wie sehr die Dame der Burg im Inneren kochen musste. Wüsste er, dass sein Leben davon abhängen würde, vielleicht hätte er sich anders verhalten, aber er nutzte die Situation aus. Die Situation, in der der Fürst und seine Gattin von ihm abhängig waren.

»Siehst Du, wie respektlos er sich uns gegenüber verhält? – Den Kopf solltest Du ihm abschlagen«, sagte Methild Dancker zu ihrem Mann, der ihr nur einen müden Blick zuwarf.

»Sollte er scheitern, werde ich das in Betracht ziehen«, gab der Fürst zurück.

»Und der Hexe am besten auch«, fügte seine Frau hinzu und warf der Seherin einen bösen Blick zu.

Diese zuckte zusammen. War das wirklich ihr Ernst? – Was habe ich denn damit zu tun? Fragte sie sich.

Der Fürst unterbrach die angespannte Stimmung. »Nun denn, ich bin ganz Ohr, was Ihr herausgefunden habt, Madame de Boer.«

Ein kurzer, selbstgefälliger Blick ihrerseits traf den Halbdämon.

»Danke, mein Herr«, begann sie ihre Ausführung. »Ich habe mit den Angestellten der Burg geredet. Vor zwei Wochen begannen die Erscheinungen, nicht wahr?«

Der Fürst nickte.

»Zu dieser Zeit gab es aber noch zwei weitere Bedienstete am Hof, ist das ebenfalls korrekt?«

Bevor Dancker etwas sagen konnte, fiel ihm seine Frau ins Wort. »Die diebische Magda und der tollpatschige Stalljunge, ja. Was ist mit ihnen?«

Ihre Stimme vibrierte bedrohlich. Evan musterte sie. Eine Abwehrreaktion, wusste sie vielleicht mehr?

Marie räusperte sich. »Genau, ja. Die Dienerin Magda wurde vom Hof entlassen, zwei Tage später starb der Stalljunge Gregor. Augenzeugen berichteten, dass er von einem Pferd niedergetreten wurde, als er dieses satteln wollte. Außerdem wurde mir gesagt, dass er mit den Tieren sehr gut umgehen konnte, es gab nie zuvor irgendeinen Vorfall zwischen ihm und den Pferden. Tags darauf begannen die Alpträume, und das Mädchen wurde mehrmals gesichtet. Das deutet auf jeden Fall darauf hin, dass diese beiden Personen damit etwas zu tun haben. Gregor ist unverkennbar ein männlicher Name, auch wenn Geister die Erscheinung wechseln können. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein männlicher Rachegeist in Form eines kleinen Mädchens erscheint, zumal da er bei seiner Bestattung noch beide Augen besaß.« Sie schaute kurz zu Evan hinüber. »Das habe ich überprüft.«

Sie fuhr fort. »Dann gäbe es noch Magda. Sie wurde entlassen, weil sie etwas gestohlen hatte?«

»Diese diebische Elster!«, spuckte Methild Dancker. »Sie hat nicht nur irgendetwas gestohlen. Regelmäßig die Speisekammer geplündert hat sie, wo doch der Winter nahe ist.«

Evan mischte sich in das Gespräch ein. »Sie hat Vorräte geplündert? – Hat der Stalljunge sich irgendetwas zu schulden kommen lassen?«

Die Gattin des Fürsten schaute ihn verdutzt an. »Nein, ansonsten hätte ich ihn ebenso vom Hof vertrieben.«

»Er hat sein Leben verloren, eine höhere Strafe gibt es nicht.«

»Er hat sein Leben verloren, weil er schlechte Arbeit geleistet hat. Hätte er sich mehr konzentriert, wäre er vielleicht noch am Leben, es gibt keinen Schuldigen, es war ein Unfall«, rechtfertigte sich Methild und hob das Kinn.

In diesem Moment sprang die Tür neben dem Kamin auf. Leuven stapfte in den Speisesaal.

»Na toll, der nächste Hofnarr in der Runde«, entfuhr es Methild. »Mir reicht es, ich gehe ins Schlafgemach. Lass mir das Mittagessen bringen.«

Vorwurfsvoll blickte sie ihren Mann an und drängte sich an dem irritierten Leuven vorbei.

Dieser stellte sich an Evans Seite, flüsterte ihm ins Ohr. »Danke. Ich habe die Wäscherin gebeten, ein wenig mehr Lavendel zu deiner Kleidung zu geben.«

Der Halbdämon blieb gelassen, tat so, als hätte er seinen Worten nicht gelauscht, doch das hatte er sehr wohl und er hasste es. Den Sieg wollte er Leuven aber nicht gönnen, weshalb er ihn weiter ignorierte.

Der Fürst seufzte, als seine Frau die Tür hinter sich mit einem Donnern schloss.

»Verzeiht, meine Frau hat sehr mit den Vorfällen zu kämpfen. Jede Nacht sucht sie das Mädchen im Schlaf heim, schrecklich«, sagte er. »Dabei hat sie schon genug in ihrem Leben gelitten.«

»Was meint Ihr?«, fragte Evan überrascht.

»Nun«, gab der Fürst zurück und schluckte. »Vor acht Jahren war sie schwanger. Doch es war eine Fehlgeburt. Wir hatten es so lange versucht, einen Erben zu zeugen. Seit dem Tag ist sie nicht mehr dieselbe.«

»Das tut mir leid.« In Evans Gesicht erkannte der Fürst die Ehrlichkeit seiner Worte, auch wenn sie im ersten Moment kühl erschienen.

Er seufzte. »Seitdem ist sie ängstlicher als zuvor. Jetzt, wo dieser Geist oder was auch immer das ist, uns heimsucht, noch mehr. Wir haben schwarze Kerzen aufgestellt, zusammen mit Gestecken aus Myrrhe, Lavendel und Anis. Sie hatte davon wohl aus einem Buch gelesen. Es soll böse Geister fernhalten.«

Der Fürst schnaufte, beinahe als wolle er sich darüber lustig machen. »Geholfen hat es aber nichts. Das ganze Zimmer riecht danach, aber sie will es nicht missen, also lasse ich es ihr, auch wenn es nicht helfen sollte.«

»Interessant«, flüsterte Evan. Die Seherin hatte ihn aber laut und deutlich verstanden und blickte ihn neugierig an.

»Nun«, der Fürst klatschte in Hände, um das Thema zu wechseln. »Herr Dhorne, habt Ihr schon etwas herausgefunden?«

»Noch nicht.«

»Nun gut, Ihr seid ja auch erst vor einer Stunde angereist. Ihr möchtet sicher auch erst über Eure Bezahlung sprechen. Mit Madame de Boer habe ich bereits die Formalitäten erledigt. Ich biete Ihnen dreihundert Kronen, sollten Sie Erfolg haben. Bei einem Misserfolg müsst Ihr Euch mit der geleisteten Kost und Logie zufriedengeben. Ihr dürft die Burg verlassen, aber unsere Zusammenarbeit muss geheim bleiben. Ich hoffe, Ihr versteht, dass ich sehr viel Wert auf Diskretion lege«, sprach Dancker.

»Natürlich«, gab Evan zurück. Er schenkte den Worten des Fürsten aber keinen Glauben.

Er hatte genug mit Adeligen, Kaufleuten und anderen Menschen aus gehobenerem Hause zu tun, um zu wissen, dass man sich vor ihnen hüten musste. Manche Worte sind nichts weiter als Schall und Rauch. So schnell sie ausgesprochen wurden, so schnell wurden sie auch wieder vergessen.

»Madame de Boer vertraut Euch. Also tue ich das auch. Außerdem macht Ihr mir einen recht menschlichen und vor allem gesitteten Eindruck«, fügte Dancker an.

Leuven kniff die Augen zusammen. Meinte er das wirklich ernst?

»Nur was die Bezahlung betrifft«, sagte Evan, »unser Pferd ist durchgegangen. Wenn Ihr erlaubt, würde ich die Kronen gerne gegen eines von Euren eintauschen.«

»Ein Pferd gegen dreihundert Kronen?«, fragte der Fürst und konnte sein Lachen nur mühevoll unterdrücken. Er erkannte die Ernsthaftigkeit in Evans Gesicht. »Kein Pferd ist dreihundert Kronen wert.«

Der Fürst überlegte kurz. »Gut. Wenn Ihr es wirklich schafft, dieses Schreckgespenst loszuwerden, dann will auch ich Euch helfen. Ihr sollt Euer Pferd bekommen, damit Ihr schnellstmöglich Eure Reise fortführen könnt.«

Dancker nickte zufrieden. »Vermeer soll den Koch darüber informieren, dass er das Mahl vorbereiten solle. Ihr könnt euch über die weiteren Schritte beraten, dafür werde ich wohl wenig von Nutzen sein.«

Er erhob sich aus seinem massiven Sessel und nickte den Anwesenden dankend zu, ehe er sich verabschiedete.

Evan schaute ihm misstrauisch hinterher.

»Jetzt mach doch nicht solche Augen«, sagte Leuven, »Du konntest unseren Lohn deutlich steigern.«

»Wohl kaum«, gab der Halbdämon zurück und wandte seinen Blick zu der Seherin hinüber. »Er wird uns nicht gehen lassen, oder?«

Marie schüttelte ihren lockigen Schopf. »Der Fürst ist ein Mann von Ehre, er steht zu seinem Wort.«

»Aber nur, wenn wir Erfolg haben. Ich sehe es doch in Eurem Blick, Ihr verschweigt mir etwas.«

Kurz überlegte die Seherin und antworte schließlich. »Welche Wahl habe ich? – Sollten wir keinen Erfolg haben, dann wird die Strafe wohl der Tod sein.«

»Ich wusste es. Warum habt Ihr mir das verschwiegen?«

»Weil ich mir sicher bin, dass wir Erfolg haben werden. Ich habe bisher alle meine Aufträge zur vollsten Zufriedenheit erfüllt.«

»Verlasst Euch nicht zu sehr auf Eure Fähigkeiten. Man kann nicht jeden Kampf gewinnen«, sagte Evan seufzend und lenkte das Thema wieder auf ihre Aufgabe. »Aber immerhin haben wir eine Spur.«

»Richtig. Der Stalljunge«, gab die Seherin zurück, während der Halbdämon im selben Atemzug »Magda« sagte.

Die beiden schauten sich böswillig an.

»Magda?«, spottete Marie. »Was soll eine diebische Bedienstete mit einem Geist zu tun haben?«

»Was soll ein tollpatschiger Stalljunge damit zu tun haben?«, entgegnete hingegen Evan.

»Der Stallbursche«, begann Marie, »galt allgemein hin als grobschlächtiger, junger Mann. Des Öfteren soll er sich in der Kneipe des Dorfes aufgehalten haben und sich dort auf unsittliche Art und Weise den Frauen genähert haben. Außerdem war er sich keiner Schlägerei zu schade.«

»Das ist alles? – Ein Arschloch ist ein Arschloch und vielleicht hat er auch den Tod verdient. Das kann ich nicht beurteilen, aber warum sollte sein Unglück etwas mit dem Geist eines Mädchens zu tun haben? – Wo ist die Verbindung?«, fragte Evan und knurrte wie ein wilder Hund.

»Ganz einfach. Er war ein Schürzenjäger und Draufgänger. Vielleicht hat er bei einer seiner Eskapaden eine Frau geschwängert. Diese hatte eine Fehlgeburt und das tote Kind will sich nun rächen«, schnaubte Marie.

»Humbug!«, entfuhr es dem Halbdämon. »Dann wäre der Geist nicht mehr anwesend. Außerdem ist das eine sehr weit hergeholte Geschichte. Ihr solltet Euer Geld als Märchentante verdienen.«

»Und Ihr? – Weshalb sollte es etwas mit der Dienerin zu tun haben? – Sie hat Vorräte gestohlen, das hat ja wohl auch keinerlei Verbindung zu der Erscheinung.« Die Seherin fauchte wie eine wilde Katze.

»Sie hat Vorräte gestohlen, für wen denn wohl? – Ich glaube kaum, für sich selbst. Ich vermute, dass sie damit Flüchtlinge versorgt hat. Der Winter ist nahe, es machen sich viele in Richtung der Hauptstadt auf. Nachdem die Vorräte ausgeblieben waren, sind die Menschen verhungert. Es liegt also nahe, dass ein Geist sich an dem Fürsten rächen will«, sagte Evan.

»Hah!«, spuckte Marie. »Und meine Geschichte soll Humbug sein? – Da lässt sich ja ein Kleinkind eine bessere Geschichte einfallen.«

Die dicke Luft zwischen ihnen war spürbar. Hätte man gewollt, so hätte man sie wahrscheinlich mit einem Brotmesser durchschneiden können.

Beide knirschten mit ihren Zähnen, schauten sich bedrohlich in die Augen, als würden sie einen Wettkampf veranstalten.

»Falsch und falsch!«, mischte sich nun Leuven ein und stemmte die Hände in die Hüfte.

»Wie bitte?«, der Halbdämon und die Seherin schauten den Kaufmann verwirrt an.

»Es hat mit beiden zu tun, aber aus einem anderen Grund«, fuhr Leuven fort.

»Woher willst Du das denn wissen?«

»Ich habe mich mit den Zwergen in der Waschküche unterhalten. Petunia mag zwar erst seit kurzem am Hof angestellt sein. Ihre Cousine hingegen verrichtet hier bereits seit drei Jahren ihren Dienst«, gab der Kaufmann amüsiert zurück.

»Ja und?«, fragte Evan entrüstet.

»Ja und?«, wiederholte Leuven spöttisch und rümpfte dann die Nase. »Zwerge interessieren sich für Klatsch und Tratsch. Das weiß doch jeder. Deshalb gehen sie auch jedem Gerücht nach.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Marie ungeduldig.

»Auf jeden Fall, habt ihr beide Recht und auch gleichzeitig Unrecht. Es gab eine Verbindung zwischen den beiden, sie waren nämlich ein Paar.«

»Ein Paar?«, fragte Marie entsetzt. »Wie kann man sich in solch einen Mann verlieben?«

»Das tut nichts zur Sache«, knurrte Evan und wandte sich wieder an Leuven, »was hat sie noch gesagt?«

»In der Nacht, bevor die liebe Magda von der Fürstin des Hofes verwiesen wurde, haben die beiden sich gestritten. Der Stalljunge soll wohl sehr rabiat ihr gegenüber gewesen sein. Petunias Cousine hat sie streiten gehört, als sie die Küchenabfälle rausgebracht hat. Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubt, dass der Stalljunge die junge Frau geschlagen hat und jetzt ratet mal, wo das ganze stattfand.«

»Im Pferdestall«, gaben Evan und Marie gleichzeitig zurück.

»Korrekt«, sagte Leuven mit stolzgeschwellter Brust. »Der Fall wurde gelöst, und zwar von mir.«

»Du hast noch gar nichts gelöst«, sagte der Halbdämon. »Wir wissen jetzt, dass es zwischen den beiden eine Verbindung gab, aber noch nicht, ob und welche es zum Geist gibt. Dann wäre da auch noch die Gattin des Fürsten.«

»Was soll mit ihr sein?«, wollte Marie wissen und fasste sich mit einer Hand an die Hüfte.

»Schwarze Kerzen, Myrrhe, Lavendel und Anis. Davon hat sie aus einem Buch gelesen. Das klingt soweit auch plausibel, aber aus welchem Buch hat sie es?«

Die Seherin schüttelte ihre lockige Mähne.

»Solche Rituale wurden vor Jahrhunderten angewandt. Sie stehen in Verbindung mit schwarzer Magie. Warum sollte sie so ein Ritual anwenden, vor allem, wenn es keine Wirkung zeigt? Es sei denn, es zeigt Wirkung.«

Marie und Leuven schauten ihn fragend an.

»Zuhören ist wahrlich nicht eure Stärke. Der Fürst sagte doch, seine Frau wird jede Nacht von Alpträumen geplagt. Ja, von Alpträumen, aber war ihr der Geist auch außerhalb von diesen begegnet? – Das hätte er sicherlich nicht verschwiegen. Das Ritual, das sie Durchgeführt hat, wird genutzt um böse Geister fernzuhalten. Dazu reicht es aber nicht, die besagten Dinge aufzustellen. Nein, es muss auch noch ein Spruch aufgesagt werden. Deshalb kam der Geist auch nicht an sie heran«, führte der Halbdämon aus.

»Aber sie hat den Fürsten im wachen Zustand heimgesucht, in seinem Bett, neben seiner Frau«, merkte Marie an.

»Sie war so nah und doch kam der Geist nicht an sie heran. Ich gehe davon aus, dass er es immer wieder versucht und scheitert, weshalb alle Menschen um ihr herum heimgesucht werden, um irgendwie einen Weg zu finden, das Ritual zu brechen.«

»Leider fehlen uns auch dafür die Beweise«, meinte Marie und verzog enttäuscht das Gesicht.

»Die brauchen wir nicht«, gab Evan zurück. »Wir können mit der Gattin des Fürsten reden und auch mit dem Mädchen.«

Die Seherin lachte hämisch auf. »Ihr wollt es wirklich darauf ankommen lassen und den Geist suchen?«

»Wir sollen ihn doch vertreiben, oder etwa nicht?«

»Das ist wahr. Auch wenn ich es ungern zugebe, aber Ihr habt wohl Recht. Nun, mein lieber Halbdämon, wie gehen wir dann am besten vor?«, wollte Marie wissen und verschränkte fordernd die Arme.

Evan blickte zu Leuven hinüber. »Du solltest beim Mittagsmahl ordentlich zuschlagen. Es könnte Dein letztes sein.«

Erschrocken wedelte dieser mit seinen Händen vor seinem Körper. »Moment, wie lautet der Plan?«

»Wir werden das Mädchen anlocken.« Der Halbdämon setzte ein diabolisches Lächeln auf.

Leuven war überhaupt nicht von dem Plan begeistert.

Beim Abendmahl sprach er kein Wort. Generell war die Stimmung sehr angespannt.

Der Fürst schlang schmatzend die Gänsekeulen und die gestampften Kartoffeln hinunter, während Evan und Marie sich ebenfalls nichts zu sagen hatten oder besser gesagt, sie wollten nicht reden und schon gar nicht miteinander.

Zu unterschiedlich waren ihre Bewertungen der Situation.

Bis in den Abend hinein dachte Evan über die mysteriöse Erscheinung nach. Es musste doch einen Auslöser geben, irgendjemand verschweigt etwas! Das dachte er sich immer wieder.

Leuven hingegen versuchte sich von Evans abzulenken und blätterte in einem alten Roman, den er sich aus einem Regal stibitzt hatte, bis er eingeschlafen war und laut schnarchte.

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Kapitel 1
Rote Augen

Beschreibung: Der reisende Händler Leuven hält mit seinem Planwagen am Wegesrand, um sich auszuruhen, als er merkwürdige Geräusche aus dem Wald hört. Vielleicht wäre es für ihn besser gewesen, zu Hause zu bleiben, anstatt in die dunkle und brutale Welt hinauszugehen. Doch ein Fremder eilt ihm zu Hilfe. Dieser Fremde scheint jedoch kein normaler Mensch zu sein.

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Teil 3

Es war ruhig. Lediglich das laute Hämmern auf dem Amboss des Schmiedes klang über den Hof und das Geschwätz zweier Dienerinnen, die sich offensichtlich vor ihrer Arbeit drückten.

Evan ging weiter, bis er zum Speisesaal gelangte.

Marie hatte bereits am großen Holztisch Platz genommen. Sie stand auf, als sie den Halbdämon erblickte.

»Ihr seht gut aus«, sagte sie mit einem hämischen Lächeln.

Evan schob seinen Kragen zur Seite und verzog das Gesicht. »Es kratzt ein wenig.«

»Nun, während Ihr es Euch gemütlich gemacht habt, habe ich weiter geforscht.«

»Ich muss Euch wohl enttäuschen, ich habe auch etwas Interessantes erfahren.«

Die Seherin blickte ihn mit großen Augen an.

»Ich habe mit Petunia gesprochen.«

»Der Zwergin?«

»Richtig. Sie hat das Mädchen nie gesehen, weder in ihren Träumen noch im wachen Zustand. Das heißt…«

»Das bedeutet gar nichts. Nur weil ihr das Mädchen noch nicht erschienen ist, muss das nicht heißen, dass sie auch verschont bleibt.«

»Ich denke schon.«

»Wie kommt Ihr darauf?«

»Sie ist seit einer Woche am Hof. Der Geist erschien ungefähr eine Woche zuvor zum ersten Mal.«

»Also glaub Ihr, dass sie verschont blieb, weil sie erst später an den Hof kam?«

»Das habt Ihr nicht gesehen, oder?«

Die Seherin schaute ihn böse an. »Es kann aber auch ein Zufall sein.«

»Schlampige Herangehensweise, es gibt bei Geistern keine Zufälle. Vor zwei Wochen ist etwas geschehen und der Fürst hat uns noch nicht verraten, was es war.«

»Es wird Zeit, es herauszufinden«, sagte Marie, als sich die Tür knarzend öffnete und der Fürst in Begleitung seiner Gattin und Vermeer den Speisesaal betrat.

Die Frau des Fürsten wirkte kränklich. Ihre Augenlider und Wangen waren tief in ihr Gesicht gefallen, die Haare waren zerzaust. Auch wenn sie versuchte dies zu kaschieren, indem sie diese zu einem Zopf geflochten hatte. Es sprang Evan sofort in die Augen, genau wie ihre angeknabberten Fingernägel. Sie schien nervös, versuchte aber nach außen hin deutlich zu machen, dass sie von einem anderen Stand war, als die Gäste.

Marie, legte eine Hand auf ihre Brust und neigte ihren Oberkörper. »Herr Johan Dancker Fürst von Burg Haren und Frau Methild Dancker Gattin des Fürsten, ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft und bitte Ihnen die neuesten Erkenntnisse über das Unheil, das Ihre Burg heimsucht, vortragen zu dürfen.«

Evan hingegen dachte gar nicht daran, sich vor irgendeinem Adeligen zu bücken. Er verschränkte die Arme und nickte stattdessen.

Ein finsterer Blick der Seherin traf ihn.

»Ich wusste doch, dass es keine gute Entscheidung sein kann, irgendwelche Tunichtgute in die Burg zu lassen. Diese sollen also diesen Fluch von uns lösen?«, fauchte die Gattin des Fürsten und drängte sich an ihren Mann.

»Ich habe bereits meine Erfahrungen mit Geistern gemacht. Aber denkt über mich, was ihr wollt. Ich kann Euch von dem Geist befreien, aber ich kann den Hof auch verlassen«, gab Evan zurück, ohne auch nur einen Funken Respekt zu zeigen.

Er erkannte, wie sehr die Dame der Burg im Inneren kochen musste. Wüsste er, dass sein Leben davon abhängen würde, vielleicht hätte er sich anders verhalten, aber er nutzte die Situation aus. Die Situation, in der der Fürst und seine Gattin von ihm abhängig waren.

»Siehst Du, wie respektlos er sich uns gegenüber verhält? – Den Kopf solltest Du ihm abschlagen«, sagte Methild Dancker zu ihrem Mann, der ihr nur einen müden Blick zuwarf.

»Sollte er scheitern, werde ich das in Betracht ziehen«, gab der Fürst zurück.

»Und der Hexe am besten auch«, fügte seine Frau hinzu und warf der Seherin einen bösen Blick zu.

Diese zuckte zusammen. War das wirklich ihr Ernst? – Was habe ich denn damit zu tun? Fragte sie sich.

Der Fürst unterbrach die angespannte Stimmung. »Nun denn, ich bin ganz Ohr, was Ihr herausgefunden habt, Madame de Boer.«

Ein kurzer, selbstgefälliger Blick ihrerseits traf den Halbdämon.

»Danke, mein Herr«, begann sie ihre Ausführung. »Ich habe mit den Angestellten der Burg geredet. Vor zwei Wochen begannen die Erscheinungen, nicht wahr?«

Der Fürst nickte.

»Zu dieser Zeit gab es aber noch zwei weitere Bedienstete am Hof, ist das ebenfalls korrekt?«

Bevor Dancker etwas sagen konnte, fiel ihm seine Frau ins Wort. »Die diebische Magda und der tollpatschige Stalljunge, ja. Was ist mit ihnen?«

Ihre Stimme vibrierte bedrohlich. Evan musterte sie. Eine Abwehrreaktion, wusste sie vielleicht mehr?

Marie räusperte sich. »Genau, ja. Die Dienerin Magda wurde vom Hof entlassen, zwei Tage später starb der Stalljunge Gregor. Augenzeugen berichteten, dass er von einem Pferd niedergetreten wurde, als er dieses satteln wollte. Außerdem wurde mir gesagt, dass er mit den Tieren sehr gut umgehen konnte, es gab nie zuvor irgendeinen Vorfall zwischen ihm und den Pferden. Tags darauf begannen die Alpträume, und das Mädchen wurde mehrmals gesichtet. Das deutet auf jeden Fall darauf hin, dass diese beiden Personen damit etwas zu tun haben. Gregor ist unverkennbar ein männlicher Name, auch wenn Geister die Erscheinung wechseln können. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein männlicher Rachegeist in Form eines kleinen Mädchens erscheint, zumal da er bei seiner Bestattung noch beide Augen besaß.« Sie schaute kurz zu Evan hinüber. »Das habe ich überprüft.«

Sie fuhr fort. »Dann gäbe es noch Magda. Sie wurde entlassen, weil sie etwas gestohlen hatte?«

»Diese diebische Elster!«, spuckte Methild Dancker. »Sie hat nicht nur irgendetwas gestohlen. Regelmäßig die Speisekammer geplündert hat sie, wo doch der Winter nahe ist.«

Evan mischte sich in das Gespräch ein. »Sie hat Vorräte geplündert? – Hat der Stalljunge sich irgendetwas zu schulden kommen lassen?«

Die Gattin des Fürsten schaute ihn verdutzt an. »Nein, ansonsten hätte ich ihn ebenso vom Hof vertrieben.«

»Er hat sein Leben verloren, eine höhere Strafe gibt es nicht.«

»Er hat sein Leben verloren, weil er schlechte Arbeit geleistet hat. Hätte er sich mehr konzentriert, wäre er vielleicht noch am Leben, es gibt keinen Schuldigen, es war ein Unfall«, rechtfertigte sich Methild und hob das Kinn.

In diesem Moment sprang die Tür neben dem Kamin auf. Leuven stapfte in den Speisesaal.

»Na toll, der nächste Hofnarr in der Runde«, entfuhr es Methild. »Mir reicht es, ich gehe ins Schlafgemach. Lass mir das Mittagessen bringen.«

Vorwurfsvoll blickte sie ihren Mann an und drängte sich an dem irritierten Leuven vorbei.

Dieser stellte sich an Evans Seite, flüsterte ihm ins Ohr. »Danke. Ich habe die Wäscherin gebeten, ein wenig mehr Lavendel zu deiner Kleidung zu geben.«

Der Halbdämon blieb gelassen, tat so, als hätte er seinen Worten nicht gelauscht, doch das hatte er sehr wohl und er hasste es. Den Sieg wollte er Leuven aber nicht gönnen, weshalb er ihn weiter ignorierte.

Der Fürst seufzte, als seine Frau die Tür hinter sich mit einem Donnern schloss.

»Verzeiht, meine Frau hat sehr mit den Vorfällen zu kämpfen. Jede Nacht sucht sie das Mädchen im Schlaf heim, schrecklich«, sagte er. »Dabei hat sie schon genug in ihrem Leben gelitten.«

»Was meint Ihr?«, fragte Evan überrascht.

»Nun«, gab der Fürst zurück und schluckte. »Vor acht Jahren war sie schwanger. Doch es war eine Fehlgeburt. Wir hatten es so lange versucht, einen Erben zu zeugen. Seit dem Tag ist sie nicht mehr dieselbe.«

»Das tut mir leid.« In Evans Gesicht erkannte der Fürst die Ehrlichkeit seiner Worte, auch wenn sie im ersten Moment kühl erschienen.

Er seufzte. »Seitdem ist sie ängstlicher als zuvor. Jetzt, wo dieser Geist oder was auch immer das ist, uns heimsucht, noch mehr. Wir haben schwarze Kerzen aufgestellt, zusammen mit Gestecken aus Myrrhe, Lavendel und Anis. Sie hatte davon wohl aus einem Buch gelesen. Es soll böse Geister fernhalten.«

Der Fürst schnaufte, beinahe als wolle er sich darüber lustig machen. »Geholfen hat es aber nichts. Das ganze Zimmer riecht danach, aber sie will es nicht missen, also lasse ich es ihr, auch wenn es nicht helfen sollte.«

»Interessant«, flüsterte Evan. Die Seherin hatte ihn aber laut und deutlich verstanden und blickte ihn neugierig an.

»Nun«, der Fürst klatschte in Hände, um das Thema zu wechseln. »Herr Dhorne, habt Ihr schon etwas herausgefunden?«

»Noch nicht.«

»Nun gut, Ihr seid ja auch erst vor einer Stunde angereist. Ihr möchtet sicher auch erst über Eure Bezahlung sprechen. Mit Madame de Boer habe ich bereits die Formalitäten erledigt. Ich biete Ihnen dreihundert Kronen, sollten Sie Erfolg haben. Bei einem Misserfolg müsst Ihr Euch mit der geleisteten Kost und Logie zufriedengeben. Ihr dürft die Burg verlassen, aber unsere Zusammenarbeit muss geheim bleiben. Ich hoffe, Ihr versteht, dass ich sehr viel Wert auf Diskretion lege«, sprach Dancker.

»Natürlich«, gab Evan zurück. Er schenkte den Worten des Fürsten aber keinen Glauben.

Er hatte genug mit Adeligen, Kaufleuten und anderen Menschen aus gehobenerem Hause zu tun, um zu wissen, dass man sich vor ihnen hüten musste. Manche Worte sind nichts weiter als Schall und Rauch. So schnell sie ausgesprochen wurden, so schnell wurden sie auch wieder vergessen.

»Madame de Boer vertraut Euch. Also tue ich das auch. Außerdem macht Ihr mir einen recht menschlichen und vor allem gesitteten Eindruck«, fügte Dancker an.

Leuven kniff die Augen zusammen. Meinte er das wirklich ernst?

»Nur was die Bezahlung betrifft«, sagte Evan, »unser Pferd ist durchgegangen. Wenn Ihr erlaubt, würde ich die Kronen gerne gegen eines von Euren eintauschen.«

»Ein Pferd gegen dreihundert Kronen?«, fragte der Fürst und konnte sein Lachen nur mühevoll unterdrücken. Er erkannte die Ernsthaftigkeit in Evans Gesicht. »Kein Pferd ist dreihundert Kronen wert.«

Der Fürst überlegte kurz. »Gut. Wenn Ihr es wirklich schafft, dieses Schreckgespenst loszuwerden, dann will auch ich Euch helfen. Ihr sollt Euer Pferd bekommen, damit Ihr schnellstmöglich Eure Reise fortführen könnt.«

Dancker nickte zufrieden. »Vermeer soll den Koch darüber informieren, dass er das Mahl vorbereiten solle. Ihr könnt euch über die weiteren Schritte beraten, dafür werde ich wohl wenig von Nutzen sein.«

Er erhob sich aus seinem massiven Sessel und nickte den Anwesenden dankend zu, ehe er sich verabschiedete.

Evan schaute ihm misstrauisch hinterher.

»Jetzt mach doch nicht solche Augen«, sagte Leuven, »Du konntest unseren Lohn deutlich steigern.«

»Wohl kaum«, gab der Halbdämon zurück und wandte seinen Blick zu der Seherin hinüber. »Er wird uns nicht gehen lassen, oder?«

Marie schüttelte ihren lockigen Schopf. »Der Fürst ist ein Mann von Ehre, er steht zu seinem Wort.«

»Aber nur, wenn wir Erfolg haben. Ich sehe es doch in Eurem Blick, Ihr verschweigt mir etwas.«

Kurz überlegte die Seherin und antworte schließlich. »Welche Wahl habe ich? – Sollten wir keinen Erfolg haben, dann wird die Strafe wohl der Tod sein.«

»Ich wusste es. Warum habt Ihr mir das verschwiegen?«

»Weil ich mir sicher bin, dass wir Erfolg haben werden. Ich habe bisher alle meine Aufträge zur vollsten Zufriedenheit erfüllt.«

»Verlasst Euch nicht zu sehr auf Eure Fähigkeiten. Man kann nicht jeden Kampf gewinnen«, sagte Evan seufzend und lenkte das Thema wieder auf ihre Aufgabe. »Aber immerhin haben wir eine Spur.«

»Richtig. Der Stalljunge«, gab die Seherin zurück, während der Halbdämon im selben Atemzug »Magda« sagte.

Die beiden schauten sich böswillig an.

»Magda?«, spottete Marie. »Was soll eine diebische Bedienstete mit einem Geist zu tun haben?«

»Was soll ein tollpatschiger Stalljunge damit zu tun haben?«, entgegnete hingegen Evan.

»Der Stallbursche«, begann Marie, »galt allgemein hin als grobschlächtiger, junger Mann. Des Öfteren soll er sich in der Kneipe des Dorfes aufgehalten haben und sich dort auf unsittliche Art und Weise den Frauen genähert haben. Außerdem war er sich keiner Schlägerei zu schade.«

»Das ist alles? – Ein Arschloch ist ein Arschloch und vielleicht hat er auch den Tod verdient. Das kann ich nicht beurteilen, aber warum sollte sein Unglück etwas mit dem Geist eines Mädchens zu tun haben? – Wo ist die Verbindung?«, fragte Evan und knurrte wie ein wilder Hund.

»Ganz einfach. Er war ein Schürzenjäger und Draufgänger. Vielleicht hat er bei einer seiner Eskapaden eine Frau geschwängert. Diese hatte eine Fehlgeburt und das tote Kind will sich nun rächen«, schnaubte Marie.

»Humbug!«, entfuhr es dem Halbdämon. »Dann wäre der Geist nicht mehr anwesend. Außerdem ist das eine sehr weit hergeholte Geschichte. Ihr solltet Euer Geld als Märchentante verdienen.«

»Und Ihr? – Weshalb sollte es etwas mit der Dienerin zu tun haben? – Sie hat Vorräte gestohlen, das hat ja wohl auch keinerlei Verbindung zu der Erscheinung.« Die Seherin fauchte wie eine wilde Katze.

»Sie hat Vorräte gestohlen, für wen denn wohl? – Ich glaube kaum, für sich selbst. Ich vermute, dass sie damit Flüchtlinge versorgt hat. Der Winter ist nahe, es machen sich viele in Richtung der Hauptstadt auf. Nachdem die Vorräte ausgeblieben waren, sind die Menschen verhungert. Es liegt also nahe, dass ein Geist sich an dem Fürsten rächen will«, sagte Evan.

»Hah!«, spuckte Marie. »Und meine Geschichte soll Humbug sein? – Da lässt sich ja ein Kleinkind eine bessere Geschichte einfallen.«

Die dicke Luft zwischen ihnen war spürbar. Hätte man gewollt, so hätte man sie wahrscheinlich mit einem Brotmesser durchschneiden können.

Beide knirschten mit ihren Zähnen, schauten sich bedrohlich in die Augen, als würden sie einen Wettkampf veranstalten.

»Falsch und falsch!«, mischte sich nun Leuven ein und stemmte die Hände in die Hüfte.

»Wie bitte?«, der Halbdämon und die Seherin schauten den Kaufmann verwirrt an.

»Es hat mit beiden zu tun, aber aus einem anderen Grund«, fuhr Leuven fort.

»Woher willst Du das denn wissen?«

»Ich habe mich mit den Zwergen in der Waschküche unterhalten. Petunia mag zwar erst seit kurzem am Hof angestellt sein. Ihre Cousine hingegen verrichtet hier bereits seit drei Jahren ihren Dienst«, gab der Kaufmann amüsiert zurück.

»Ja und?«, fragte Evan entrüstet.

»Ja und?«, wiederholte Leuven spöttisch und rümpfte dann die Nase. »Zwerge interessieren sich für Klatsch und Tratsch. Das weiß doch jeder. Deshalb gehen sie auch jedem Gerücht nach.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Marie ungeduldig.

»Auf jeden Fall, habt ihr beide Recht und auch gleichzeitig Unrecht. Es gab eine Verbindung zwischen den beiden, sie waren nämlich ein Paar.«

»Ein Paar?«, fragte Marie entsetzt. »Wie kann man sich in solch einen Mann verlieben?«

»Das tut nichts zur Sache«, knurrte Evan und wandte sich wieder an Leuven, »was hat sie noch gesagt?«

»In der Nacht, bevor die liebe Magda von der Fürstin des Hofes verwiesen wurde, haben die beiden sich gestritten. Der Stalljunge soll wohl sehr rabiat ihr gegenüber gewesen sein. Petunias Cousine hat sie streiten gehört, als sie die Küchenabfälle rausgebracht hat. Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubt, dass der Stalljunge die junge Frau geschlagen hat und jetzt ratet mal, wo das ganze stattfand.«

»Im Pferdestall«, gaben Evan und Marie gleichzeitig zurück.

»Korrekt«, sagte Leuven mit stolzgeschwellter Brust. »Der Fall wurde gelöst, und zwar von mir.«

»Du hast noch gar nichts gelöst«, sagte der Halbdämon. »Wir wissen jetzt, dass es zwischen den beiden eine Verbindung gab, aber noch nicht, ob und welche es zum Geist gibt. Dann wäre da auch noch die Gattin des Fürsten.«

»Was soll mit ihr sein?«, wollte Marie wissen und fasste sich mit einer Hand an die Hüfte.

»Schwarze Kerzen, Myrrhe, Lavendel und Anis. Davon hat sie aus einem Buch gelesen. Das klingt soweit auch plausibel, aber aus welchem Buch hat sie es?«

Die Seherin schüttelte ihre lockige Mähne.

»Solche Rituale wurden vor Jahrhunderten angewandt. Sie stehen in Verbindung mit schwarzer Magie. Warum sollte sie so ein Ritual anwenden, vor allem, wenn es keine Wirkung zeigt? Es sei denn, es zeigt Wirkung.«

Marie und Leuven schauten ihn fragend an.

»Zuhören ist wahrlich nicht eure Stärke. Der Fürst sagte doch, seine Frau wird jede Nacht von Alpträumen geplagt. Ja, von Alpträumen, aber war ihr der Geist auch außerhalb von diesen begegnet? – Das hätte er sicherlich nicht verschwiegen. Das Ritual, das sie Durchgeführt hat, wird genutzt um böse Geister fernzuhalten. Dazu reicht es aber nicht, die besagten Dinge aufzustellen. Nein, es muss auch noch ein Spruch aufgesagt werden. Deshalb kam der Geist auch nicht an sie heran«, führte der Halbdämon aus.

»Aber sie hat den Fürsten im wachen Zustand heimgesucht, in seinem Bett, neben seiner Frau«, merkte Marie an.

»Sie war so nah und doch kam der Geist nicht an sie heran. Ich gehe davon aus, dass er es immer wieder versucht und scheitert, weshalb alle Menschen um ihr herum heimgesucht werden, um irgendwie einen Weg zu finden, das Ritual zu brechen.«

»Leider fehlen uns auch dafür die Beweise«, meinte Marie und verzog enttäuscht das Gesicht.

»Die brauchen wir nicht«, gab Evan zurück. »Wir können mit der Gattin des Fürsten reden und auch mit dem Mädchen.«

Die Seherin lachte hämisch auf. »Ihr wollt es wirklich darauf ankommen lassen und den Geist suchen?«

»Wir sollen ihn doch vertreiben, oder etwa nicht?«

»Das ist wahr. Auch wenn ich es ungern zugebe, aber Ihr habt wohl Recht. Nun, mein lieber Halbdämon, wie gehen wir dann am besten vor?«, wollte Marie wissen und verschränkte fordernd die Arme.

Evan blickte zu Leuven hinüber. »Du solltest beim Mittagsmahl ordentlich zuschlagen. Es könnte Dein letztes sein.«

Erschrocken wedelte dieser mit seinen Händen vor seinem Körper. »Moment, wie lautet der Plan?«

»Wir werden das Mädchen anlocken.« Der Halbdämon setzte ein diabolisches Lächeln auf.

Leuven war überhaupt nicht von dem Plan begeistert.

Beim Abendmahl sprach er kein Wort. Generell war die Stimmung sehr angespannt.

Der Fürst schlang schmatzend die Gänsekeulen und die gestampften Kartoffeln hinunter, während Evan und Marie sich ebenfalls nichts zu sagen hatten oder besser gesagt, sie wollten nicht reden und schon gar nicht miteinander.

Zu unterschiedlich waren ihre Bewertungen der Situation.

Bis in den Abend hinein dachte Evan über die mysteriöse Erscheinung nach. Es musste doch einen Auslöser geben, irgendjemand verschweigt etwas! Das dachte er sich immer wieder.

Leuven hingegen versuchte sich von Evans abzulenken und blätterte in einem alten Roman, den er sich aus einem Regal stibitzt hatte, bis er eingeschlafen war und laut schnarchte.

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