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Kapitel 1: Rote Augen

Beschreibung: Der reisende Händler Leuven hält mit seinem Planwagen am Wegesrand, um sich auszuruhen, als er merkwürdige Geräusche aus dem Wald hört. Vielleicht wäre es für ihn besser gewesen, zu Hause zu bleiben, anstatt in die dunkle und brutale Welt hinauszugehen. Doch ein Fremder eilt ihm zu Hilfe. Dieser Fremde scheint jedoch kein normaler Mensch zu sein.

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Teil 1

In längst vergangenen Zeiten, als die weiten Lande der alten Völker nördlich der majestätischen Eisenmark noch von einer Aura des Friedens und der Harmonie durchzogen waren, lebten die Zwerge, Faune und Eldári in Eintracht miteinander.

Sie lebten im Einklang mit der Natur und ihren unzähligen Bewohnern, die an Land, in der Luft und zu Wasser heimisch waren.

Doch eines Tages brachen die Menschen über die Eisenmark herein, von unbändigem Drang nach Macht und neuem Land getrieben. Die alten Völker versuchten, sie willkommen zu heißen, in der Hoffnung, eine friedliche Koexistenz zu schaffen. Doch die Menschen, geblendet von Ehrgeiz und Gier, zeigten schon bald, dass ihre Ambitionen über den Wunsch nach Harmonie hinausreichten.

Gewalt erfüllte die Luft und das Land brannte als die Menschen die alten Völker aus ihrer Heimat vertrieben.

Die Zwerge zogen sich tief in die schroffen Bergmassive der Eisenmark zurück, während die Eldári, ihre Verbindung zur Natur verloren und das Land verließen.

Die tapferen Faune, die sich gegen die Invasoren auflehnten, wurden nahezu ausgelöscht und zogen in die weiten Wälder im Osten aus.

Die Menschen setzten ihren Drang nach Macht und Territorium fort. Grenzen wurden gezogen, Königreiche errichtet, und Jahrhunderte des Krieges bestimmten das Leben der Menschen.

Als endlich eine Ära des Friedens anbrach, wurde die Menschheit von den Dienern der Finsternis heimgesucht. Monster, Dämonen und bizarre Mischwesen fielen ein und terrorisierten die Lande.

Armeen der Menschen verbündeten sich mit den mächtigen Zauberern, um diesen schrecklichen Kreaturen Einhalt zu gebieten.

Ein großer Krieg konnte vermieden werden, doch die Bedrohung blieb bestehen.

Die Bevölkerung beschuldigte die Zauberer, die wiederum die Herrscher der Königreiche, die wiederum den Göttern die Schuld gaben.

In dieser finsteren Stunde der Unsicherheit und Anschuldigungen erhob sich die Gilde der Dämonenjäger.

Unabhängig und furchtlos, stellten sie sich den Kreaturen der Dunkelheit entgegen. Doch nicht nur sie wagten sich hinaus in die weite Welt, um dem Unheil zu begegnen.

Söldner, Zauberer und andere zwielichtige Gestalten schlossen sich dem lukrativen Geschäft der Dämonenjagd an, jeder mit eigenen Zielen und Motiven.

Die Lande waren erfüllt von einem Hauch der Ungewissheit, und die Dämonenjäger wandelten auf einem schmalen Grat zwischen Licht und Dunkelheit, während das Schicksal der Welt am seidenen Faden hing und sich im Würgegriff des Bösen befand.

________

In jener düsteren Nacht hing der Mond wie ein schimmernder Kristall am Horizont und sandte seine blassen Strahlen durch die alles umhüllende Finsternis.

Das gespenstische Licht folgte dem einsamen Reisenden Leuven auf seinem müden Pfad.

Nach einem endlosen Tag, der ihn bis an die Grenzen seiner Kraft trieb, beschloss er, nahe der Siedlung Harendorf Rast zu machen.

Das verschlafene Dörfchen hatte nicht viel zu bieten, außer ein paar einfachen Lehmhütten, einer bescheidenen Taverne und einem kleinen Marktplatz, auf dem die örtlichen Bauern, Jäger und fahrende Händler dicht gedrängt beieinanderstanden um ihre Waren anzupreisen.

Für Leuven war es kein erfolgreicher Tag gewesen.

Die Dorfbewohner begutachteten gelegentlich seine Ware, angefangen von Messingbechern bis hin zu silbernen Tellern, doch meist erntete er nur skeptische Blicke.

Das verdiente Geld reichte gerade für ein trockenes Laib Brot und etwas Wasser.

In dem bescheidenen Dorf war das Überleben von höchster Wichtigkeit.

Die Bewohner hatten nur begrenzte Mittel zur Verfügung und kämpften täglich darum, genug Nahrung für den nächsten Tag zu sichern.

Für sie waren die Beute des Jägers oder die bescheidene Ernte der Bauern lebenswichtig und bewahrten sie vor Hunger und Tod.

Da erschien es ihnen beinahe wie blanker Hohn, als Leuven seinen Wagen öffnete und stolz in seinem teuren Wams allerhand Schmuckstücke präsentierte.

Versilberte Löffel, Messingbecher und Teller mit verschiedenen Verzierungen glänzten in der Morgensonne. Doch für die Menschen von Harendorf, die abends oft hungrig einschliefen, war solch ein Luxus fern jeder Realität.

Während Leuvens Waren vielleicht die Menschen in einer größeren Stadt beeindrucken konnten, spiegelten sie nicht die schlichten Lebensumstände der Dorfbewohner wider.

Nur eine ältere Dame konnte er schließlich davon überzeugen, dass der Teller, den sie erwarb, ein zauberhaftes Geschenk für ihre Enkelin zur anstehenden Hochzeit darstellte.

Allerdings erwies sich die Dame als sehr geschickt in den Verhandlungen. Sie trieb den Preis immer weiter runter.

Auch, wenn der junge Mann versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, so zwang ihn sein leerer, knurrender Magen dazu nachzugeben und die wenigen Kronen anzunehmen.

Leuven konnte nicht umhin, sich ein wenig über seine eigenen Fähigkeiten zu ärgern. Er wusste, dass er kein herausragender Händler war, aber dass er sich so unterboten ließ, nagte an seinem Stolz.

Doch all seine Sorgen waren für den Augenblick vergessen, als es ihm endlich gelang, die zuvor gesammelten Zweige und Äste zu entfachen und ein wärmendes Lagerfeuer zu entzünden.

Die Flammen umschlangen das Holz in gieriger Hingabe, und das Knistern des Feuers füllte seine Ohren wie eine beruhigende Melodie.

Dieser bescheidene Triumph hatte für Leuven eine tiefere Bedeutung, die jenseits von Worten lag.

Er schloss die Augen und atmete den betörenden Duft des brennenden Holzes tief durch die Nase ein.

In seiner Vorstellung sah er sich in einem prunkvollen Herrenzimmer sitzen, in dem das Feuer im Kamin behagliche Wärme verbreitete.

Alle seine Sorgen und Nöte schienen zu schwinden, während er sich dem beschützenden Flackern des Kamins hingab.

Doch die harte Realität holte ihn schnell ein, als der beißende Rauch in seine Nase drang und einen Hustenanfall auslöste.

Seine Augen brannten und Tränen stiegen auf, während er sich vom Feuerplatz zurücklehnte und sich in eine warme Decke einhüllte.

Mit einem Seufzen biss er in sein trockenes Brot. Es war kein Festmahl, aber es würde seinen Hunger zumindest für den Abend stillen.

Seine treue Stute hatte er zuvor vom Planwagen losgespannt, damit sie am Waldrand grasen konnte.

Eine Weile beobachtete Leuven sie, wie sie friedlich fraß, und empfand dabei ein Gefühl der tiefen Geborgenheit.

Die Nacht war still, doch auch beängstigend.

Nur das Knistern des Feuers und das Rascheln der Blätter durchbrachen die Stille.

Ab und zu vernahm er das rhythmische Zirpen der Zikaden, das wie eine sanfte Melodie in der Dunkelheit klang.

Leuven war müde, doch er empfand eine gewisse Sicherheit in der Umarmung des Feuers.

Mit geschlossenen Augen ließ er seine Gedanken wandern, während er den Nachtgeräuschen lauschte.

In der Dunkelheit fühlte er sich für einen flüchtigen Moment sicher und geborgen, als wäre er ein Vogel, der majestätisch durch die Lüfte gleitet. Dieses eigenartige und doch wohltuende Gefühl erfüllte ihn.

Verträumt beobachtete Leuven seine Stute, wie sie sich am saftigen Grün am Rande des Waldes satt fraß.

Er wünschte sich, er könnte ihr ein paar Karotten oder Äpfel reichen, aber das Geld reichte einfach nicht aus.

Es war eine schmerzliche Erkenntnis für den fahrenden Händler, und er schämte sich vor sich selbst und seiner loyalen Gefährtin.

Sein Blick wanderte hinauf zum Nachthimmel. Der Mond mag zwar hell gestrahlt haben, doch ein milchiger Schleier aus Nebel verbarg die Sterne, als wolle er sie vor den Blicken der Menschen verbergen.

Leuven seufzte und biss ein weiteres Stück von seinem Brot ab. Doch plötzlich durchzuckte ihn ein stechender Schmerz im Kiefer.

Mit verzerrtem Gesicht legte er eine Hand auf die schmerzende Stelle und wandte dann wieder seinen Blick dem Feuer zu.

Leuven warf einen Teil seiner Mahlzeit in die lodernden Flammen und ließ die Schultern in seiner Decke hängen.

Die Dunkelheit und Stille um ihn herum schienen ihn zu umhüllen, wie ein undurchdringlicher Nebel.

Er fragte sich, ob sich die Umstände bald verbessern würden oder ob er dazu verdammt war, fortan in Einsamkeit und Verzweiflung zu leben.

Mit einem traurigen Lächeln wandte er sich seiner Stute zu.

»Ach, mein Mädchen, immerhin haben wir uns noch, nicht wahr?«, sagte der junge Mann und brachte zumindest für einen kurzen Moment ein Lächeln auf seine Lippen.

Seit Tagen hatte er das Gefühl, niemals satt zu werden.

Sein Magen knurrte ununterbrochen, und seine Wangen hingen schlaff herunter vor Erschöpfung.

Würde man ihn auf der Straße antreffen, in seinem prachtvollen bestickten Wams und dem samtigen Barett, würde niemand vermuten, dass Leuven seit Wochen ohne einen einzigen Zwischenstopp in einem Gasthaus unterwegs war. Zumindest solange man nicht den ganzen Schlamm und Dreck bemerkte, der ihn bedeckte.

Er hatte nur wenige Kleidungsstücke zum Wechseln dabei, aber in diesem Gewand fühlte er sich am wohlsten.

Es verlieh ihm eine gewisse Eleganz und verbarg vielleicht seine innere Unruhe.

Obwohl sein Äußeres bereits etwas mitgenommen aussah, verlieh es ihm dennoch eine Spur von Würde, die er verzweifelt aufrechtzuerhalten versuchte. Seine stämmige Statur ließ erahnen, dass er erst vor Kurzem begonnen hatte, ein Leben voller Entbehrungen zu führen. Leuven hatte keine Lust auf Mitleid, aber Anerkennung und Bewunderung waren ihm mehr als willkommen.

Doch die Realität sah anders aus. Anstatt Lob und Bewunderung erntete er oft Spott und Hohn, so wie vor einigen Tagen in dem verschlafenen Harendorf.

Als er neben den Obst- und Gemüsehändlern seinen Wagen öffnete und die neugierige Menge seine Kisten begutachtete, begannen die Menschen schnell über ihn zu tuscheln.

Die Reise lastete nicht nur körperlich auf ihm, sondern auch seine Ängste nagten unermüdlich an seinem Verstand. Was, wenn er kein Geld mehr für Nahrung hätte? Oder noch schlimmer, was, wenn er überfallen und ausgeraubt werden würde?

Erschöpft ließ er sich rücklings ins feuchte Gras fallen.

»Vielleicht war das alles eine dumme Idee«, murmelte Leuven vor sich hin und wandte sich an seine Stute. »Was hältst du von einem frühen Ruhestand? Stell dir vor, meine Liebe, eine kleine Hütte am See. Jeden Morgen gehe ich angeln, während du dich am üppigen Grün sattessen kannst. Na, wäre das nicht etwas?«

Die Stute schwenkte ihren Schweif schnaubend hin und her, ohne Leuvens Worte zu beachten. Das reichte ihm als Antwort.

»Du hast recht«, sagte er seufzend. »Das können wir uns wirklich nicht leisten. Aber ein bisschen Träumen sollte uns erlaubt sein.«

Plötzlich durchbrach ein wildes Wiehern die Stille, und die Stute begann unruhig den Boden mit ihren Hufen zu scHaren. Ein derartiges Verhalten hatte der fahrende Händler bei ihr noch nie zuvor beobachtet.

Leuven setzte sich aufgeregt auf.

»Was ist los mit dir?«, rief er aus. Die Stute stampfte immer wieder kräftig auf den Boden, als ob sie Ungeziefer zertreten wollte.

Der junge Mann rollte sich auf die Seite und kämpfte sich hoch. Seine müden Knochen knackten dabei in der nächtlichen Stille.

Dampf entwich aus den Nüstern des Pferdes, als Leuven sich näherte und versuchte, es zu beruhigen. Doch die Stute wehrte sich gegen seine Berührung, bäumte sich auf und wieder ab.

»Da ist doch nichts«, versuchte er beruhigend auf das erschreckte Tier einzureden.

»Du siehst schon Gespenster«, fügte er hinzu und wagte einen erneuten Versuch, die nervöse Stute zu streicheln. »Ruhig, meine Schöne, nur ruhig.«

Doch plötzlich drang ein tiefes Knurren aus den Tiefen des umliegenden Dickichts.

Für einen flüchtigen Moment glaubte Leuven, dass es nur das Knurren seines eigenen, hungrigen Magens sei, doch das Geräusch wiederholte sich.

Nun war er sich sicher, dass sich etwas Bedrohliches zwischen den düsteren Bäumen verbarg.

Sein Mund füllte sich mit Speichel, den er hastig herunterschluckte. Seine schweren Beine begannen zu zittern, als die Blätter im Gebüsch zu rascheln begannen. Etwas regte sich dort, und Leuven spürte instinktiv, dass es nichts Gutes verhieß.

Mit langsamen, beinahe taumelnden Schritten näherte sich eine finstere Gestalt.

Anfangs hielt Leuven es für ein Wildschwein, was angesichts der Gefahr, die von diesen kräftigen Tieren ausging, schon schlimm genug gewesen wäre.

Die Schnauze und die im Mondlicht aufblitzenden Hauer schienen diesen Gedanken gar zu bestätigen. Doch je näher die Gestalt kam, desto klarer wurde Leuven sein Irrtum.

Das Wesen war etwa einen Meter groß, mit einem langgestreckten Körper, kräftigen Klauen und ledriger, leicht schimmernder Haut. Auf seinem muskulösen Rücken ragte ein Kamm aus Knochen empor, der sich mit jedem Schritt aufstellte.

Das Biest knurrte bedrohlich und zeigte seine spitzen Zähne, die sich unregelmäßig zwischen den Hauern auftürmten. Eine klebrige Substanz tropfte aus seinem Maul.

Erneut stieß die Stute Dampf aus ihren Nüstern, während sie ihre Vorderbeine hochstemmte und wild mit ihnen hin und her schlug.

Hinter dem grauenhaften Geschöpf erschien eine weitere Kreatur und öffnete ihr fauliges Maul.

Leuvens Beine zitterten in rasender Geschwindigkeit, während sein Oberkörper wie erstarrt wirkte.

Der Drang, zu fliehen, pulsierte in seinen Gedanken, doch sein Körper gehorchte in diesem Moment nicht seinen Befehlen.

Die Stute ließ ihre Vorderbeine mit ohrenbetäubendem Getöse auf den Boden donnern, schüttelte ihren massigen Körper und wirbelte wild herum.

Dabei stieß sie Leuven zu Boden und verschwand wie ein Sturm in der dunklen Nacht, während ihr Gewieher noch in den Ohren des jungen Mannes widerhallte.

Leuven biss sich auf die Lippe und rutschte langsam rückwärts über das Gras.

Schließlich gab sein Körper seinem Fluchtinstinkt nach und mit einem kräftigen Stoß seiner Beine wälzte er sich über den Boden.

Sein Blick wanderte zu seinem Planwagen.

Könnte er es rechtzeitig in seinen Wagen schaffen, bevor die Kreaturen ihn erreichten? Würde der Karren überhaupt ausreichenden Schutz bieten? Egal, er hatte keine andere Wahl.

Mit jedem Schritt, den er auf dem Gras nach hinten rutschte, machten die Bestien einen gewaltigen Schritt nach vorne.

Sein Rücken schmerzte, die Beine und Arme waren kraftlos, doch sein Herz raste in seiner Brust.

Plötzlich sprang Leuven auf und spürte für einen flüchtigen Moment, wie das Adrenalin durch seinen Körper jagte. Doch dieser Moment war nur von kurzer Dauer, ein Wimpernschlag in der Dunkelheit.

Ein durchdringender Schmerz schoss durch Leuvens Rücken und lähmte ihn.

Mit einem gedämpften Stöhnen begann er zu taumeln und landete schließlich im Dreck. Dabei biss er sich auf die Lippe, die zu bluten begann, während die bedrohliche Stille der Nacht ihn umhüllte.

Er lag dort, wimmernd, spuckte Blätter und Blut aus seinem Mund.

So sollte also sein Ende aussehen? Durchfuhr es ihn. So würde er also von wilden Bestien verschlungen werden. Welch armseliger Narr er doch war.

Noch vor kurzer Zeit hatte er ein sicheres Dach über dem Kopf gehabt, ein gemütliches Bett, und er hatte sich keine Sorgen darüber machen müssen, ob der nächste Tag sein letzter sein könnte.

Die Langeweile mochte ihn geplagt haben, doch er war am Leben gewesen. Nun lag er im Dreck, wimmernd und von Hoffnungslosigkeit beseelt.

Leuven schloss die Augen und hoffte, dass die finsteren Kreaturen ihren Hunger schnell stillen würden.

Möge ihr Verlangen nach Nahrung sie dazu treiben, nicht mit ihrer Beute zu spielen, wie eine wilde Katze, die sie grausam verfolgt und elendig verbluten lässt.

Hinter ihm begannen die Kreaturen zu fauchen, und ein bellender Laut drang aus ihren Kehlen.

Er spürte den kalten Atem in seinem Nacken, den Speichel, der auf seinen Hals tropfte und langsam hinabglitt.

Plötzlich jaulten die Bestien laut auf.

Jetzt war es soweit, durchzuckte es Leuven. Schnell, lasst es schnell vorbei sein.

Das knirschende Geräusch von scharfen Zähnen und das bedrohliche Knurren hatten sich zu einem wilden Aufheulen verwandelt, das wie eine Verfluchung durch die Luft zischte.

Die Geräusche folgten einem fast rhythmischen Muster, als ob sie Teil einer unheilvollen Symphonie wären.

Leuven öffnete seine müden Augen und spürte den dumpfen Schmerz in seinem Körper.

Seine Atmung war schwer und jedes Einatmen ließ den Staub vor seinem Gesicht aufwirbeln. Doch das Wichtigste war, dass er noch am Leben war.

Der eisige Atem, der ihm zuvor bedrohlich nahegekommen war, schien sich zurückgezogen zu haben, genauso wie die Bestien, die ihn umgeben hatten.

Plötzlich durchbrach ein metallisches Klirren die Stille der Dunkelheit und ließ Leuven erneut die Sinne schärfen. Ein Funken Hoffnung durchströmte seinen erschöpften Körper.

Leuven drehte sich auf seinen Rücken.

Eine verhüllte Gestalt tänzelte von rechts nach links, während ihr Umhang, wie der Flügel einer Fledermaus, im Wind flatterte.

Die Gestalt hatte die Aufmerksamkeit der Bestien auf sich gelenkt.

Ihr Schwert blitzte mehrmals im Mondschein auf.

Eines der Ungeheuer wagte einen Sprung und heulte vor Schmerz auf, als die Ferse eines Stiefels sein Gesicht traf.

Die zweite Kreatur entblößte wild ihre Zähne und öffnete ihr klebriges Maul.

Doch mit einer geschickten Seitwärtsrolle entkam die verhüllte Gestalt gerade noch rechtzeitig den zuschnappenden Kiefern.

Schnell erhob sich die dunkle Figur wieder auf ihre beiden Füße, stürzte sich mit ihrem Schwert auf sie und trennte dem ersten Ungeheuer mit einem kraftvollen Schlag die Schnauze ab.

Blut spritzte in alle Richtungen wie ein grotesker Brunnen der Gewalt.

Das Ungeheuer sprang wild umher, wie ein enthauptetes Huhn in seinen letzten Zuckungen, bevor es schließlich schwankend zu Boden fiel.

Ein gezielter Stich in den Rücken beendete sein qualvolles Leiden.

Das zweite Ungeheuer kratzte wild mit seinen Hinterpfoten und entblößte seine gefährlichen Zähne.

Ein geschickter Sprung, ein schneller Schwertstoß.

Der Kopf des Monsters mit seinen bedrohlichen Augen und scharfen Zähnen landete direkt neben Leuven und bildete eine teuflische Grimasse.

Der Körper des Ungeheuers wirbelte Sand und Blätter auf, als er noch weitere zwei oder drei Meter über den feuchten Boden glitt.

Leuven erstarrte vor Angst, als ein durchdringender Pfiff direkt in sein Bewusstsein drang.

Die bedrohliche Silhouette des Fremden bewegte sich langsam auf ihn zu.

Blut tropfte von der Klinge, während der Umhang sanft im Wind wehte.

Die Augen des Fremden leuchteten rot, als er vor dem jungen Händler stand.

Leuvens Sicht verschwamm, als die dunkle Gestalt seine Arme ergriff und ihn hochzog. Plötzlich wurde sein Verstand wieder klar.

Sein Herz schlug heftig, und seine Beine zitterten noch leicht, aber allmählich wurde Leuven bewusst, dass die Gefahr vorbei und er nun in Sicherheit war.

»Mein Herr, ich danke Euch«, stammelte Leuven und klopfte die Blätter von seinem Gewand, während sein rasendes Herz zur Ruhe kam.

Er wagte einen Blick unter die Kapuze, die das Gesicht des Fremden verdeckte.

Die Augen des Fremden leuchteten teuflisch rot und der Blick drang tief in Leuvens Geist.

»Ihr … Ihr … Ich …« schnaubte der junge Händler, bevor er einen Schritt zurücktrat.

»Bitte, nehmt was Ihr wollt, aber verschont mein Leben«, jammerte er.

Die geheimnisvolle Figur zeigte keine Regung.

Langsam erkannte Leuven die markanten Züge eines Mannes unter der Kapuze. Er schien ein wenig älter zu sein als Leuven.

»Bitte, mein Herr, bitte«, heulte der junge Kaufmann leise und verzog sein Gesicht, als fürchtete er den Tod.

»Ich habe es nicht auf Deine Habseligkeiten abgesehen«, antwortete der Fremde ruhig.

Leuvens Gesicht entspannte sich sichtlich.

»Habt Ihr nicht?« fragte er schließlich verwirrt.

»Habe ich nicht.«

»Was wollt Ihr dann?«

Der Fremde schaute tief in die glasigen Augen des jungen Kaufmanns. »Überhaupt nichts. Ich bin zufällig vorbeigekommen. Dein Glück, wie mir scheint.«

»Dann danke ich Euch«, antwortete Leuven überrascht und holte tief Luft. »Puh. Ich hatte schon befürchtet, diese Kreaturen würden mich lebendig fressen.«

Der Fremde betrachtete ihn ernst. »Das hätten sie sicherlich getan, wenn ich nicht aufgetaucht wäre.«

Er untersuchte die toten Ungeheuer mit kritischen Augen und äußerte überraschte Laute, als er sich zu einer der Kadaver hinunterbeugte und ihn beiseite rollte.

»Ich, ähm, ich bin Leuven«, sagte der junge Kaufmann, »ähh, Leuven Hansen aus Uchtenberg, und wer seid Ihr, mein Herr?«

»Leuven Hansen aus Uchtenberg?« fragte der Fremde einen Moment misstrauisch, dann schnalzte er mit der Zunge und sah Leuven an, während er aufstand und den Schmutz von seinen Händen abwischte.

»Du kannst mich Evan nennen, Evan Dhorne. Aber ich bin kein Herr. Genug der Förmlichkeiten.«

Der Fremde wandte sich von den Kreaturen ab, schlich wie ein Geist zum knisternden Lagerfeuer und setzte sich nieder, um seine Hände zu wärmen.

Vorsichtig näherte sich Leuven seinem Retter. „Evan Dhorne, na ja, es freut mich sehr. Du bist bist ebenfalls auf Reisen, oder? – Ich kann nicht ohne mein Mädchen auskommen.“

„Hmm“, Evan verzog keine Miene. Es schien, als würde er nicht einmal blinzeln. „Sie wird zurückkommen.“

Verwirrt starrte Leuven den Fremden an und verarbeitete seine Worte in seinem Kopf.

„Nun ja“, lächelte der Händler verschmitzt, „sie hat bestimmt einen Schock bekommen, als diese, äh, egal was es waren, aufgetaucht sind.“

„Karraks.“

„Karraks? Also gut, als diese Karraks aufgetaucht sind. Ich mache mir große Sorgen um sie.“

„Setz Dich“, befahl der geheimnisvolle Mann fast gebieterisch. „Sie wird zurückkommen, ganz sicher.“

„Nun ja.“ Leuven nahm seinen Hut für einen Moment ab und fuhr sich durch seine fettigen Locken, bevor er ihn wieder aufsetzte.

Er starrte einen Moment in die Dunkelheit und setzte sich schließlich widerstrebend. „Vielleicht hast Du recht. Aber Du musst wissen, sie ist nicht mehr die Jüngste und schon ein wenig tollpatschig.“

Evan blieb still und starrte ins Feuer, als wäre er in Trance.

Der Händler wurde unruhig. Er hatte mehrere Fragen, unterließ es aber, sie zu stellen.

„Na schön. Ich habe wohl keine andere Wahl. In dieser Dunkelheit finde ich sie wahrscheinlich sowieso nicht. Ich werde bei Tagesanbruch nach ihr suchen“, sagte er schließlich.

„Ich denke, das ist klug“, erwiderte Evan kalt und warf dem Händler einen kurzen Blick zu. „Du willst ja nicht gefressen werden, oder?“

„Gefressen werden?“ Leuven schluckte nervös den Speichel hinunter, der sich in seinem Mund angesammelt hatte.

„Karraks ziehen im Rudel umher, das bedeutet, andere lauern im Wald auf Beute. Ich wäre überrascht, wenn sie das Geheul ihrer Rudelführer nicht bemerkt hätten.“

„Und Du kannst hier in Ruhe am Feuer sitzen?“ Leuven sprang auf, streckte seinen schmerzenden Rücken und stellte sich vor Evan. „Wir müssen von hier verschwinden.“

Evan seufzte genervt. „Wenn Du jetzt gehst, bist Du leichte Beute. Mit den beiden konnte ich schnell kurzen Prozess machen, ihr Rudel wird es bemerkt haben. Außerdem haben sie einen ausgezeichneten Geruchssinn. Wenn sie das Blut ihrer Artgenossen riechen, sind sie vorerst gewarnt. Sie werden einen weiten Bogen um uns machen, zumindest vorerst.“

Ein nervöser, flüchtiger Blick von Leuven wanderte in den Wald.

„Ich habe noch nie solche Kreaturen gesehen oder von ihnen gehört“, sagte er.

„Ich habe sie auch noch nie in Brünnen angetroffen. Sie leben in den dichten Wäldern von Cardíz. Seltsam.“

„Du scheinst viel über diese Dinge zu wissen. Nun ja, als Dämon nehme ich an, gehört das dazu.“

„Ich bin kein Dämon!“ zischte Evan und verzog das Gesicht.

Ein Schauer lief Leuven über den Rücken. „Verzeih mir, mein Herr. Ich habe nur gedacht, nun ja, wegen Deiner Augen.“

Evan schnaubte und antwortete ruhig: „Aber das bin ich nicht, und jetzt hör auf mit dieser Förmlichkeit.“

„Verzeih mir. – Aber wenn Du nichts dagegen hast, darf ich fragen was bist Du? Ich meine nicht nur Deine Augen, sondern auch, wie Du gegen diese Bestien gekämpft hast. Das war beeindruckend. Selbst ausgebildete Soldaten hätten diese Bestien nicht so schnell getötet. Nicht dass ich mich auskenne, aber ich nehme an, in ihrer, äh, Rüstung“, sagte Leuven vorsichtig.

Die Stimme seines Retters wurde leiser, fast ein Flüstern. „Nenn mich dann halt einen Halbdämon, zumindest ist das nur zur Hälfte schlecht.“

Vorsichtig näherte sich Leuven seinem Retter. »Halbdämon. Na ja, es freut mich zumindest sehr, dich kennenzulernen. Du bist unterwegs in die Hauptstadt, nicht wahr?«

»Stimmt.«

Leuven hockte sich hin und stocherte mit einem Ast in den Glutnestern des Lagerfeuers. »Ich bin auf dem Weg nach Rabensberg. Wenn Du willst, gebe ich Dir eine Mitfahrgelegenheit in meinem Wagen.«

Der Halbdämon streckte den Kopf hoch und schaute über Leuven hinweg in die Dunkelheit. »Ich vermute, das wird ohne Dein Pferd nicht funktionieren. Es sei denn, Du willst Deinen Karren selbst ziehen. Aber das ist wohl nicht dein Plan, oder?«

»Du sagtest doch, meine Stute würde zurückkehren.«

»Das sagte ich.«

»Also bist Du Dir nicht sicher?« Fragte der junge Mann empört.

»Es war eher eine Vermutung. Aber wenn ich es recht bedenke, glaube ich weniger daran«, bei dessen Worten blieb Evans Stimme kalt. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, als hätte es Leuven besser wissen müssen.

»Ich kann meinen Wagen nicht einfach hier am Straßenrand stehen lassen! – All mein Hab und Gut ist darin!«, brummte dieser.

»Bleib ruhig, du wirst das Rudel anlocken. Morgen wissen wir mehr. Vielleicht kommt sie zurück, vielleicht fressen die Karraks deine Stute. Ich weiß es nicht.«

»Du machst mich verrückt«, schnaubte Leuven. »Ich muss weiter, ich kann hier nicht bleiben.«

»Du solltest schlafen«, sagte Evan und sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen.

»Schlafen? – Du meinst, ich soll schlafen?«

»Genau das meine ich, ja.«

»Ich wurde beinahe von wilden Bestien gefressen, mein Pferd ist verschwunden, und ein Dämon, verzeihung ein Halbdämon sagt mir, ich soll schlafen?«

Evan zuckte mit den Schultern. »Das habe ich gesagt, ja.«

Der junge Mann senkte den Kopf. »Ich hätte zu Hause bleiben sollen.«

Der Halbdämon verzog dieses Mal das Gesicht und nickte leicht. »Ich nehme an, das wäre die bessere Wahl gewesen.«

Leuven baute sich wieder vor ihm auf.

»Du weißt überhaupt nichts!«, meckerte er und stützte seine Hände in die Hüften, neigte sich zu Evan und hob mahnend einen Finger. »Ich hatte keine Wahl. All mein Besitz ist in diesem Wagen, ich muss meine Stute wiederfinden, oder du wirst den Wagen ziehen!«

»Das werde ich nicht. Ich habe dein Leben gerettet, das sollte wohl ausreichend sein«, schnaubte Evan und stand ebenfalls auf.

Beide sahen sich tief in die Augen.

Die roten Augen des Halbdämons flackerten auf.

Allmählich zeigten sich auch in seinem Gesicht Regungen.

Es war ein Zucken an den Mundwinkeln, eine Bewegung der Augenbrauen, aber für den jungen Kaufmann bedrohlich genug.

»Nun gut«, gab Leuven dem Blick nach und wandte den Kopf ab. »Ich habe wohl keine Wahl. Ich werde mich für ein paar Stunden hinlegen. Aber sobald die Sonne aufgeht, werden wir nach meiner Stute suchen.«

»Oder…«

»Oder?«

»In der Nähe gibt es eine Burg..«

»Eine Burg?«, Leuven setzte nachdenklich einen Finger an sein Kinn. »Ja, die Burg Haren. Sie ist der Sitz von Fürst Johan Dancker. Aber wie sollte er uns helfen können?.«

»Wie ich gehört habe, hat er ein Problem«, gab Evan zurück und setzte sich wieder zum Feuer nieder. »Gerüchte besagen, dass ein Poltergeist in seinem Anwesen sein Unwesen treibt.«

»Ein… ein Geist?«, Leuven stellten sich die Nackenhaare auf.

»Ein Poltergeist, ja«, Evan setzte eine finstere Grimasse auf. »Angeblich sucht er die Belegschaft des Hauses in ihren Träumen auf und treibt sie in den Wahnsinn. Der Fürst soll ebenfalls nicht verschont bleiben.«

Der Halbdämon grinste gespenstisch, dann, urplötzlich, wurde seine Miene wieder ausdruckslos. »Aber vielleicht ist das auch nur irgendein Geschwafel, den sich die Leute erzählen.«

»Aber wie soll uns das weiterhelfen?«, fragte der junge Kaufmann.

»Er könnte sich erkenntlich zeigen. Vielleicht kann er dich auch nach Hause bringen lassen«, entgegnete Evan.

»Aber ich will doch gar nicht nach Hause!«, protestiert wiederum Leuven.

»Die Entscheidung liegt bei dir. Aber wenn es wirklich einen Geist gibt«, die Miene des Halbdämons wurde gespenstisch, »dann mache dich auf das Grauen gefasst. Deine schlimmsten Alpträume könnten wahr werden.«

Leuven schluckte. »Meine schlimmsten Alpträume?«

»O ja. Grauenhafte Kreaturen lauern in den Schatten. Sie verzehren einen von innen heraus, verdunkeln einem die Sinne, rauben den Verstand.«

Der Halbdämon wandte sein Gesicht ab. Es amüsierte ihn ein wenig, den jungen Mann zu verunsichern.

Leuven schüttelte sich. »Lass mich die Nacht darüber schlafen.«

»Tue dies«, gab Evan zurück und warf den Rest des trockenen Brotes in das Feuer. »Aber wenn wir nicht verhungern wollen, sollten wir schnellstmöglich etwas Essbares finden.«

Der Kaufmann machte auf dem Absatz kehrt.

Ihm gefiel die Situation gar nicht.

Als er sich mit seiner Stute und den Wagen auf den Weg gemacht hatte, träumte er davon reich zu werden, sich ein Haus am See zu kaufen und dort seine Ruhe zu genießen. Aber es lief nicht ansatzweise so, wie er es sich vorgestellt hatte.

»Du willst nicht schlafen?«, gähnte er.

»Ich werde Wache halten«, gab Evan zurück. »Falls das Rudel Karraks uns angreift, werde ich mich bemerkbar machen.«

»Mach das, mach das.« Leuven blieb abrupt stehen. »Warte, du denkst, die Karraks könnten uns angreifen?«

Achselzuckend schaute der Halbdämon ihn an. »Wer weiß das schon.«

Leuven wanderte zu seinem Karren. Er schob die Plane zur Seite und stieg in den Wagen, der sich dabei leicht zur Seite neigte.

Bevor er die Plane zuzog wagte er noch einen Blick auf den Halbdämon. Konnte er ihm trauen?

Leuven wusste nicht, wie er ihn einschätzen sollte.

Einerseits hatte er großen Respekt vor ihm und seinen Fähigkeiten, andererseits löste er aber auch einen Schauder ihn ihm aus.

Er war ein Halbdämon, wie viel Menschlichkeit war also noch vorhanden? – War das vielleicht auch nur ein Trick und in Wahrheit würde er nur an Leuvens Hab und Gut wollen?

Die Gedanken kreisten um den jungen Mann.

Schließlich setzte sich Leuven kopfschüttelnd auf seine Schlafrolle und zog seine dreckigen Stiefel aus. »Was soll ich nur davon halten?«

Er legte sich nieder und verschränkte die Hände auf seiner Brust.

Er wog die Möglichkeiten ab, hin- und hergerissen zwischen Misstrauen und Verzweiflung.

Langsam wurden seine Augenlider schwerer, und seine Gedanken trübten sich, als er in einen unruhigen Schlaf hinüberglitt.

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Kapitel 1
Rote Augen

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In längst vergangenen Zeiten, als die weiten Lande der alten Völker nördlich der majestätischen Eisenmark noch von einer Aura des Friedens und der Harmonie durchzogen waren, lebten die Zwerge, Faune und Eldári in Eintracht miteinander.

Sie lebten im Einklang mit der Natur und ihren unzähligen Bewohnern, die an Land, in der Luft und zu Wasser heimisch waren.

Doch eines Tages brachen die Menschen über die Eisenmark herein, von unbändigem Drang nach Macht und neuem Land getrieben. Die alten Völker versuchten, sie willkommen zu heißen, in der Hoffnung, eine friedliche Koexistenz zu schaffen. Doch die Menschen, geblendet von Ehrgeiz und Gier, zeigten schon bald, dass ihre Ambitionen über den Wunsch nach Harmonie hinausreichten.

Gewalt erfüllte die Luft und das Land brannte als die Menschen die alten Völker aus ihrer Heimat vertrieben.

Die Zwerge zogen sich tief in die schroffen Bergmassive der Eisenmark zurück, während die Eldári, ihre Verbindung zur Natur verloren und das Land verließen.

Die tapferen Faune, die sich gegen die Invasoren auflehnten, wurden nahezu ausgelöscht und zogen in die weiten Wälder im Osten aus.

Die Menschen setzten ihren Drang nach Macht und Territorium fort. Grenzen wurden gezogen, Königreiche errichtet, und Jahrhunderte des Krieges bestimmten das Leben der Menschen.

Als endlich eine Ära des Friedens anbrach, wurde die Menschheit von den Dienern der Finsternis heimgesucht. Monster, Dämonen und bizarre Mischwesen fielen ein und terrorisierten die Lande.

Armeen der Menschen verbündeten sich mit den mächtigen Zauberern, um diesen schrecklichen Kreaturen Einhalt zu gebieten.

Ein großer Krieg konnte vermieden werden, doch die Bedrohung blieb bestehen.

Die Bevölkerung beschuldigte die Zauberer, die wiederum die Herrscher der Königreiche, die wiederum den Göttern die Schuld gaben.

In dieser finsteren Stunde der Unsicherheit und Anschuldigungen erhob sich die Gilde der Dämonenjäger.

Unabhängig und furchtlos, stellten sie sich den Kreaturen der Dunkelheit entgegen. Doch nicht nur sie wagten sich hinaus in die weite Welt, um dem Unheil zu begegnen.

Söldner, Zauberer und andere zwielichtige Gestalten schlossen sich dem lukrativen Geschäft der Dämonenjagd an, jeder mit eigenen Zielen und Motiven.

Die Lande waren erfüllt von einem Hauch der Ungewissheit, und die Dämonenjäger wandelten auf einem schmalen Grat zwischen Licht und Dunkelheit, während das Schicksal der Welt am seidenen Faden hing und sich im Würgegriff des Bösen befand.

________

In jener düsteren Nacht hing der Mond wie ein schimmernder Kristall am Horizont und sandte seine blassen Strahlen durch die alles umhüllende Finsternis.

Das gespenstische Licht folgte dem einsamen Reisenden Leuven auf seinem müden Pfad.

Nach einem endlosen Tag, der ihn bis an die Grenzen seiner Kraft trieb, beschloss er, nahe der Siedlung Harendorf Rast zu machen.

Das verschlafene Dörfchen hatte nicht viel zu bieten, außer ein paar einfachen Lehmhütten, einer bescheidenen Taverne und einem kleinen Marktplatz, auf dem die örtlichen Bauern, Jäger und fahrende Händler dicht gedrängt beieinanderstanden um ihre Waren anzupreisen.

Für Leuven war es kein erfolgreicher Tag gewesen.

Die Dorfbewohner begutachteten gelegentlich seine Ware, angefangen von Messingbechern bis hin zu silbernen Tellern, doch meist erntete er nur skeptische Blicke.

Das verdiente Geld reichte gerade für ein trockenes Laib Brot und etwas Wasser.

In dem bescheidenen Dorf war das Überleben von höchster Wichtigkeit.

Die Bewohner hatten nur begrenzte Mittel zur Verfügung und kämpften täglich darum, genug Nahrung für den nächsten Tag zu sichern.

Für sie waren die Beute des Jägers oder die bescheidene Ernte der Bauern lebenswichtig und bewahrten sie vor Hunger und Tod.

Da erschien es ihnen beinahe wie blanker Hohn, als Leuven seinen Wagen öffnete und stolz in seinem teuren Wams allerhand Schmuckstücke präsentierte.

Versilberte Löffel, Messingbecher und Teller mit verschiedenen Verzierungen glänzten in der Morgensonne. Doch für die Menschen von Harendorf, die abends oft hungrig einschliefen, war solch ein Luxus fern jeder Realität.

Während Leuvens Waren vielleicht die Menschen in einer größeren Stadt beeindrucken konnten, spiegelten sie nicht die schlichten Lebensumstände der Dorfbewohner wider.

Nur eine ältere Dame konnte er schließlich davon überzeugen, dass der Teller, den sie erwarb, ein zauberhaftes Geschenk für ihre Enkelin zur anstehenden Hochzeit darstellte.

Allerdings erwies sich die Dame als sehr geschickt in den Verhandlungen. Sie trieb den Preis immer weiter runter.

Auch, wenn der junge Mann versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, so zwang ihn sein leerer, knurrender Magen dazu nachzugeben und die wenigen Kronen anzunehmen.

Leuven konnte nicht umhin, sich ein wenig über seine eigenen Fähigkeiten zu ärgern. Er wusste, dass er kein herausragender Händler war, aber dass er sich so unterboten ließ, nagte an seinem Stolz.

Doch all seine Sorgen waren für den Augenblick vergessen, als es ihm endlich gelang, die zuvor gesammelten Zweige und Äste zu entfachen und ein wärmendes Lagerfeuer zu entzünden.

Die Flammen umschlangen das Holz in gieriger Hingabe, und das Knistern des Feuers füllte seine Ohren wie eine beruhigende Melodie.

Dieser bescheidene Triumph hatte für Leuven eine tiefere Bedeutung, die jenseits von Worten lag.

Er schloss die Augen und atmete den betörenden Duft des brennenden Holzes tief durch die Nase ein.

In seiner Vorstellung sah er sich in einem prunkvollen Herrenzimmer sitzen, in dem das Feuer im Kamin behagliche Wärme verbreitete.

Alle seine Sorgen und Nöte schienen zu schwinden, während er sich dem beschützenden Flackern des Kamins hingab.

Doch die harte Realität holte ihn schnell ein, als der beißende Rauch in seine Nase drang und einen Hustenanfall auslöste.

Seine Augen brannten und Tränen stiegen auf, während er sich vom Feuerplatz zurücklehnte und sich in eine warme Decke einhüllte.

Mit einem Seufzen biss er in sein trockenes Brot. Es war kein Festmahl, aber es würde seinen Hunger zumindest für den Abend stillen.

Seine treue Stute hatte er zuvor vom Planwagen losgespannt, damit sie am Waldrand grasen konnte.

Eine Weile beobachtete Leuven sie, wie sie friedlich fraß, und empfand dabei ein Gefühl der tiefen Geborgenheit.

Die Nacht war still, doch auch beängstigend.

Nur das Knistern des Feuers und das Rascheln der Blätter durchbrachen die Stille.

Ab und zu vernahm er das rhythmische Zirpen der Zikaden, das wie eine sanfte Melodie in der Dunkelheit klang.

Leuven war müde, doch er empfand eine gewisse Sicherheit in der Umarmung des Feuers.

Mit geschlossenen Augen ließ er seine Gedanken wandern, während er den Nachtgeräuschen lauschte.

In der Dunkelheit fühlte er sich für einen flüchtigen Moment sicher und geborgen, als wäre er ein Vogel, der majestätisch durch die Lüfte gleitet. Dieses eigenartige und doch wohltuende Gefühl erfüllte ihn.

Verträumt beobachtete Leuven seine Stute, wie sie sich am saftigen Grün am Rande des Waldes satt fraß.

Er wünschte sich, er könnte ihr ein paar Karotten oder Äpfel reichen, aber das Geld reichte einfach nicht aus.

Es war eine schmerzliche Erkenntnis für den fahrenden Händler, und er schämte sich vor sich selbst und seiner loyalen Gefährtin.

Sein Blick wanderte hinauf zum Nachthimmel. Der Mond mag zwar hell gestrahlt haben, doch ein milchiger Schleier aus Nebel verbarg die Sterne, als wolle er sie vor den Blicken der Menschen verbergen.

Leuven seufzte und biss ein weiteres Stück von seinem Brot ab. Doch plötzlich durchzuckte ihn ein stechender Schmerz im Kiefer.

Mit verzerrtem Gesicht legte er eine Hand auf die schmerzende Stelle und wandte dann wieder seinen Blick dem Feuer zu.

Leuven warf einen Teil seiner Mahlzeit in die lodernden Flammen und ließ die Schultern in seiner Decke hängen.

Die Dunkelheit und Stille um ihn herum schienen ihn zu umhüllen, wie ein undurchdringlicher Nebel.

Er fragte sich, ob sich die Umstände bald verbessern würden oder ob er dazu verdammt war, fortan in Einsamkeit und Verzweiflung zu leben.

Mit einem traurigen Lächeln wandte er sich seiner Stute zu.

»Ach, mein Mädchen, immerhin haben wir uns noch, nicht wahr?«, sagte der junge Mann und brachte zumindest für einen kurzen Moment ein Lächeln auf seine Lippen.

Seit Tagen hatte er das Gefühl, niemals satt zu werden.

Sein Magen knurrte ununterbrochen, und seine Wangen hingen schlaff herunter vor Erschöpfung.

Würde man ihn auf der Straße antreffen, in seinem prachtvollen bestickten Wams und dem samtigen Barett, würde niemand vermuten, dass Leuven seit Wochen ohne einen einzigen Zwischenstopp in einem Gasthaus unterwegs war. Zumindest solange man nicht den ganzen Schlamm und Dreck bemerkte, der ihn bedeckte.

Er hatte nur wenige Kleidungsstücke zum Wechseln dabei, aber in diesem Gewand fühlte er sich am wohlsten.

Es verlieh ihm eine gewisse Eleganz und verbarg vielleicht seine innere Unruhe.

Obwohl sein Äußeres bereits etwas mitgenommen aussah, verlieh es ihm dennoch eine Spur von Würde, die er verzweifelt aufrechtzuerhalten versuchte. Seine stämmige Statur ließ erahnen, dass er erst vor Kurzem begonnen hatte, ein Leben voller Entbehrungen zu führen. Leuven hatte keine Lust auf Mitleid, aber Anerkennung und Bewunderung waren ihm mehr als willkommen.

Doch die Realität sah anders aus. Anstatt Lob und Bewunderung erntete er oft Spott und Hohn, so wie vor einigen Tagen in dem verschlafenen Harendorf.

Als er neben den Obst- und Gemüsehändlern seinen Wagen öffnete und die neugierige Menge seine Kisten begutachtete, begannen die Menschen schnell über ihn zu tuscheln.

Die Reise lastete nicht nur körperlich auf ihm, sondern auch seine Ängste nagten unermüdlich an seinem Verstand. Was, wenn er kein Geld mehr für Nahrung hätte? Oder noch schlimmer, was, wenn er überfallen und ausgeraubt werden würde?

Erschöpft ließ er sich rücklings ins feuchte Gras fallen.

»Vielleicht war das alles eine dumme Idee«, murmelte Leuven vor sich hin und wandte sich an seine Stute. »Was hältst du von einem frühen Ruhestand? Stell dir vor, meine Liebe, eine kleine Hütte am See. Jeden Morgen gehe ich angeln, während du dich am üppigen Grün sattessen kannst. Na, wäre das nicht etwas?«

Die Stute schwenkte ihren Schweif schnaubend hin und her, ohne Leuvens Worte zu beachten. Das reichte ihm als Antwort.

»Du hast recht«, sagte er seufzend. »Das können wir uns wirklich nicht leisten. Aber ein bisschen Träumen sollte uns erlaubt sein.«

Plötzlich durchbrach ein wildes Wiehern die Stille, und die Stute begann unruhig den Boden mit ihren Hufen zu scHaren. Ein derartiges Verhalten hatte der fahrende Händler bei ihr noch nie zuvor beobachtet.

Leuven setzte sich aufgeregt auf.

»Was ist los mit dir?«, rief er aus. Die Stute stampfte immer wieder kräftig auf den Boden, als ob sie Ungeziefer zertreten wollte.

Der junge Mann rollte sich auf die Seite und kämpfte sich hoch. Seine müden Knochen knackten dabei in der nächtlichen Stille.

Dampf entwich aus den Nüstern des Pferdes, als Leuven sich näherte und versuchte, es zu beruhigen. Doch die Stute wehrte sich gegen seine Berührung, bäumte sich auf und wieder ab.

»Da ist doch nichts«, versuchte er beruhigend auf das erschreckte Tier einzureden.

»Du siehst schon Gespenster«, fügte er hinzu und wagte einen erneuten Versuch, die nervöse Stute zu streicheln. »Ruhig, meine Schöne, nur ruhig.«

Doch plötzlich drang ein tiefes Knurren aus den Tiefen des umliegenden Dickichts.

Für einen flüchtigen Moment glaubte Leuven, dass es nur das Knurren seines eigenen, hungrigen Magens sei, doch das Geräusch wiederholte sich.

Nun war er sich sicher, dass sich etwas Bedrohliches zwischen den düsteren Bäumen verbarg.

Sein Mund füllte sich mit Speichel, den er hastig herunterschluckte. Seine schweren Beine begannen zu zittern, als die Blätter im Gebüsch zu rascheln begannen. Etwas regte sich dort, und Leuven spürte instinktiv, dass es nichts Gutes verhieß.

Mit langsamen, beinahe taumelnden Schritten näherte sich eine finstere Gestalt.

Anfangs hielt Leuven es für ein Wildschwein, was angesichts der Gefahr, die von diesen kräftigen Tieren ausging, schon schlimm genug gewesen wäre.

Die Schnauze und die im Mondlicht aufblitzenden Hauer schienen diesen Gedanken gar zu bestätigen. Doch je näher die Gestalt kam, desto klarer wurde Leuven sein Irrtum.

Das Wesen war etwa einen Meter groß, mit einem langgestreckten Körper, kräftigen Klauen und ledriger, leicht schimmernder Haut. Auf seinem muskulösen Rücken ragte ein Kamm aus Knochen empor, der sich mit jedem Schritt aufstellte.

Das Biest knurrte bedrohlich und zeigte seine spitzen Zähne, die sich unregelmäßig zwischen den Hauern auftürmten. Eine klebrige Substanz tropfte aus seinem Maul.

Erneut stieß die Stute Dampf aus ihren Nüstern, während sie ihre Vorderbeine hochstemmte und wild mit ihnen hin und her schlug.

Hinter dem grauenhaften Geschöpf erschien eine weitere Kreatur und öffnete ihr fauliges Maul.

Leuvens Beine zitterten in rasender Geschwindigkeit, während sein Oberkörper wie erstarrt wirkte.

Der Drang, zu fliehen, pulsierte in seinen Gedanken, doch sein Körper gehorchte in diesem Moment nicht seinen Befehlen.

Die Stute ließ ihre Vorderbeine mit ohrenbetäubendem Getöse auf den Boden donnern, schüttelte ihren massigen Körper und wirbelte wild herum.

Dabei stieß sie Leuven zu Boden und verschwand wie ein Sturm in der dunklen Nacht, während ihr Gewieher noch in den Ohren des jungen Mannes widerhallte.

Leuven biss sich auf die Lippe und rutschte langsam rückwärts über das Gras.

Schließlich gab sein Körper seinem Fluchtinstinkt nach und mit einem kräftigen Stoß seiner Beine wälzte er sich über den Boden.

Sein Blick wanderte zu seinem Planwagen.

Könnte er es rechtzeitig in seinen Wagen schaffen, bevor die Kreaturen ihn erreichten? Würde der Karren überhaupt ausreichenden Schutz bieten? Egal, er hatte keine andere Wahl.

Mit jedem Schritt, den er auf dem Gras nach hinten rutschte, machten die Bestien einen gewaltigen Schritt nach vorne.

Sein Rücken schmerzte, die Beine und Arme waren kraftlos, doch sein Herz raste in seiner Brust.

Plötzlich sprang Leuven auf und spürte für einen flüchtigen Moment, wie das Adrenalin durch seinen Körper jagte. Doch dieser Moment war nur von kurzer Dauer, ein Wimpernschlag in der Dunkelheit.

Ein durchdringender Schmerz schoss durch Leuvens Rücken und lähmte ihn.

Mit einem gedämpften Stöhnen begann er zu taumeln und landete schließlich im Dreck. Dabei biss er sich auf die Lippe, die zu bluten begann, während die bedrohliche Stille der Nacht ihn umhüllte.

Er lag dort, wimmernd, spuckte Blätter und Blut aus seinem Mund.

So sollte also sein Ende aussehen? Durchfuhr es ihn. So würde er also von wilden Bestien verschlungen werden. Welch armseliger Narr er doch war.

Noch vor kurzer Zeit hatte er ein sicheres Dach über dem Kopf gehabt, ein gemütliches Bett, und er hatte sich keine Sorgen darüber machen müssen, ob der nächste Tag sein letzter sein könnte.

Die Langeweile mochte ihn geplagt haben, doch er war am Leben gewesen. Nun lag er im Dreck, wimmernd und von Hoffnungslosigkeit beseelt.

Leuven schloss die Augen und hoffte, dass die finsteren Kreaturen ihren Hunger schnell stillen würden.

Möge ihr Verlangen nach Nahrung sie dazu treiben, nicht mit ihrer Beute zu spielen, wie eine wilde Katze, die sie grausam verfolgt und elendig verbluten lässt.

Hinter ihm begannen die Kreaturen zu fauchen, und ein bellender Laut drang aus ihren Kehlen.

Er spürte den kalten Atem in seinem Nacken, den Speichel, der auf seinen Hals tropfte und langsam hinabglitt.

Plötzlich jaulten die Bestien laut auf.

Jetzt war es soweit, durchzuckte es Leuven. Schnell, lasst es schnell vorbei sein.

Das knirschende Geräusch von scharfen Zähnen und das bedrohliche Knurren hatten sich zu einem wilden Aufheulen verwandelt, das wie eine Verfluchung durch die Luft zischte.

Die Geräusche folgten einem fast rhythmischen Muster, als ob sie Teil einer unheilvollen Symphonie wären.

Leuven öffnete seine müden Augen und spürte den dumpfen Schmerz in seinem Körper.

Seine Atmung war schwer und jedes Einatmen ließ den Staub vor seinem Gesicht aufwirbeln. Doch das Wichtigste war, dass er noch am Leben war.

Der eisige Atem, der ihm zuvor bedrohlich nahegekommen war, schien sich zurückgezogen zu haben, genauso wie die Bestien, die ihn umgeben hatten.

Plötzlich durchbrach ein metallisches Klirren die Stille der Dunkelheit und ließ Leuven erneut die Sinne schärfen. Ein Funken Hoffnung durchströmte seinen erschöpften Körper.

Leuven drehte sich auf seinen Rücken.

Eine verhüllte Gestalt tänzelte von rechts nach links, während ihr Umhang, wie der Flügel einer Fledermaus, im Wind flatterte.

Die Gestalt hatte die Aufmerksamkeit der Bestien auf sich gelenkt.

Ihr Schwert blitzte mehrmals im Mondschein auf.

Eines der Ungeheuer wagte einen Sprung und heulte vor Schmerz auf, als die Ferse eines Stiefels sein Gesicht traf.

Die zweite Kreatur entblößte wild ihre Zähne und öffnete ihr klebriges Maul.

Doch mit einer geschickten Seitwärtsrolle entkam die verhüllte Gestalt gerade noch rechtzeitig den zuschnappenden Kiefern.

Schnell erhob sich die dunkle Figur wieder auf ihre beiden Füße, stürzte sich mit ihrem Schwert auf sie und trennte dem ersten Ungeheuer mit einem kraftvollen Schlag die Schnauze ab.

Blut spritzte in alle Richtungen wie ein grotesker Brunnen der Gewalt.

Das Ungeheuer sprang wild umher, wie ein enthauptetes Huhn in seinen letzten Zuckungen, bevor es schließlich schwankend zu Boden fiel.

Ein gezielter Stich in den Rücken beendete sein qualvolles Leiden.

Das zweite Ungeheuer kratzte wild mit seinen Hinterpfoten und entblößte seine gefährlichen Zähne.

Ein geschickter Sprung, ein schneller Schwertstoß.

Der Kopf des Monsters mit seinen bedrohlichen Augen und scharfen Zähnen landete direkt neben Leuven und bildete eine teuflische Grimasse.

Der Körper des Ungeheuers wirbelte Sand und Blätter auf, als er noch weitere zwei oder drei Meter über den feuchten Boden glitt.

Leuven erstarrte vor Angst, als ein durchdringender Pfiff direkt in sein Bewusstsein drang.

Die bedrohliche Silhouette des Fremden bewegte sich langsam auf ihn zu.

Blut tropfte von der Klinge, während der Umhang sanft im Wind wehte.

Die Augen des Fremden leuchteten rot, als er vor dem jungen Händler stand.

Leuvens Sicht verschwamm, als die dunkle Gestalt seine Arme ergriff und ihn hochzog. Plötzlich wurde sein Verstand wieder klar.

Sein Herz schlug heftig, und seine Beine zitterten noch leicht, aber allmählich wurde Leuven bewusst, dass die Gefahr vorbei und er nun in Sicherheit war.

»Mein Herr, ich danke Euch«, stammelte Leuven und klopfte die Blätter von seinem Gewand, während sein rasendes Herz zur Ruhe kam.

Er wagte einen Blick unter die Kapuze, die das Gesicht des Fremden verdeckte.

Die Augen des Fremden leuchteten teuflisch rot und der Blick drang tief in Leuvens Geist.

»Ihr … Ihr … Ich …« schnaubte der junge Händler, bevor er einen Schritt zurücktrat.

»Bitte, nehmt was Ihr wollt, aber verschont mein Leben«, jammerte er.

Die geheimnisvolle Figur zeigte keine Regung.

Langsam erkannte Leuven die markanten Züge eines Mannes unter der Kapuze. Er schien ein wenig älter zu sein als Leuven.

»Bitte, mein Herr, bitte«, heulte der junge Kaufmann leise und verzog sein Gesicht, als fürchtete er den Tod.

»Ich habe es nicht auf Deine Habseligkeiten abgesehen«, antwortete der Fremde ruhig.

Leuvens Gesicht entspannte sich sichtlich.

»Habt Ihr nicht?« fragte er schließlich verwirrt.

»Habe ich nicht.«

»Was wollt Ihr dann?«

Der Fremde schaute tief in die glasigen Augen des jungen Kaufmanns. »Überhaupt nichts. Ich bin zufällig vorbeigekommen. Dein Glück, wie mir scheint.«

»Dann danke ich Euch«, antwortete Leuven überrascht und holte tief Luft. »Puh. Ich hatte schon befürchtet, diese Kreaturen würden mich lebendig fressen.«

Der Fremde betrachtete ihn ernst. »Das hätten sie sicherlich getan, wenn ich nicht aufgetaucht wäre.«

Er untersuchte die toten Ungeheuer mit kritischen Augen und äußerte überraschte Laute, als er sich zu einer der Kadaver hinunterbeugte und ihn beiseite rollte.

»Ich, ähm, ich bin Leuven«, sagte der junge Kaufmann, »ähh, Leuven Hansen aus Uchtenberg, und wer seid Ihr, mein Herr?«

»Leuven Hansen aus Uchtenberg?« fragte der Fremde einen Moment misstrauisch, dann schnalzte er mit der Zunge und sah Leuven an, während er aufstand und den Schmutz von seinen Händen abwischte.

»Du kannst mich Evan nennen, Evan Dhorne. Aber ich bin kein Herr. Genug der Förmlichkeiten.«

Der Fremde wandte sich von den Kreaturen ab, schlich wie ein Geist zum knisternden Lagerfeuer und setzte sich nieder, um seine Hände zu wärmen.

Vorsichtig näherte sich Leuven seinem Retter. „Evan Dhorne, na ja, es freut mich sehr. Du bist bist ebenfalls auf Reisen, oder? – Ich kann nicht ohne mein Mädchen auskommen.“

„Hmm“, Evan verzog keine Miene. Es schien, als würde er nicht einmal blinzeln. „Sie wird zurückkommen.“

Verwirrt starrte Leuven den Fremden an und verarbeitete seine Worte in seinem Kopf.

„Nun ja“, lächelte der Händler verschmitzt, „sie hat bestimmt einen Schock bekommen, als diese, äh, egal was es waren, aufgetaucht sind.“

„Karraks.“

„Karraks? Also gut, als diese Karraks aufgetaucht sind. Ich mache mir große Sorgen um sie.“

„Setz Dich“, befahl der geheimnisvolle Mann fast gebieterisch. „Sie wird zurückkommen, ganz sicher.“

„Nun ja.“ Leuven nahm seinen Hut für einen Moment ab und fuhr sich durch seine fettigen Locken, bevor er ihn wieder aufsetzte.

Er starrte einen Moment in die Dunkelheit und setzte sich schließlich widerstrebend. „Vielleicht hast Du recht. Aber Du musst wissen, sie ist nicht mehr die Jüngste und schon ein wenig tollpatschig.“

Evan blieb still und starrte ins Feuer, als wäre er in Trance.

Der Händler wurde unruhig. Er hatte mehrere Fragen, unterließ es aber, sie zu stellen.

„Na schön. Ich habe wohl keine andere Wahl. In dieser Dunkelheit finde ich sie wahrscheinlich sowieso nicht. Ich werde bei Tagesanbruch nach ihr suchen“, sagte er schließlich.

„Ich denke, das ist klug“, erwiderte Evan kalt und warf dem Händler einen kurzen Blick zu. „Du willst ja nicht gefressen werden, oder?“

„Gefressen werden?“ Leuven schluckte nervös den Speichel hinunter, der sich in seinem Mund angesammelt hatte.

„Karraks ziehen im Rudel umher, das bedeutet, andere lauern im Wald auf Beute. Ich wäre überrascht, wenn sie das Geheul ihrer Rudelführer nicht bemerkt hätten.“

„Und Du kannst hier in Ruhe am Feuer sitzen?“ Leuven sprang auf, streckte seinen schmerzenden Rücken und stellte sich vor Evan. „Wir müssen von hier verschwinden.“

Evan seufzte genervt. „Wenn Du jetzt gehst, bist Du leichte Beute. Mit den beiden konnte ich schnell kurzen Prozess machen, ihr Rudel wird es bemerkt haben. Außerdem haben sie einen ausgezeichneten Geruchssinn. Wenn sie das Blut ihrer Artgenossen riechen, sind sie vorerst gewarnt. Sie werden einen weiten Bogen um uns machen, zumindest vorerst.“

Ein nervöser, flüchtiger Blick von Leuven wanderte in den Wald.

„Ich habe noch nie solche Kreaturen gesehen oder von ihnen gehört“, sagte er.

„Ich habe sie auch noch nie in Brünnen angetroffen. Sie leben in den dichten Wäldern von Cardíz. Seltsam.“

„Du scheinst viel über diese Dinge zu wissen. Nun ja, als Dämon nehme ich an, gehört das dazu.“

„Ich bin kein Dämon!“ zischte Evan und verzog das Gesicht.

Ein Schauer lief Leuven über den Rücken. „Verzeih mir, mein Herr. Ich habe nur gedacht, nun ja, wegen Deiner Augen.“

Evan schnaubte und antwortete ruhig: „Aber das bin ich nicht, und jetzt hör auf mit dieser Förmlichkeit.“

„Verzeih mir. – Aber wenn Du nichts dagegen hast, darf ich fragen was bist Du? Ich meine nicht nur Deine Augen, sondern auch, wie Du gegen diese Bestien gekämpft hast. Das war beeindruckend. Selbst ausgebildete Soldaten hätten diese Bestien nicht so schnell getötet. Nicht dass ich mich auskenne, aber ich nehme an, in ihrer, äh, Rüstung“, sagte Leuven vorsichtig.

Die Stimme seines Retters wurde leiser, fast ein Flüstern. „Nenn mich dann halt einen Halbdämon, zumindest ist das nur zur Hälfte schlecht.“

Vorsichtig näherte sich Leuven seinem Retter. »Halbdämon. Na ja, es freut mich zumindest sehr, dich kennenzulernen. Du bist unterwegs in die Hauptstadt, nicht wahr?«

»Stimmt.«

Leuven hockte sich hin und stocherte mit einem Ast in den Glutnestern des Lagerfeuers. »Ich bin auf dem Weg nach Rabensberg. Wenn Du willst, gebe ich Dir eine Mitfahrgelegenheit in meinem Wagen.«

Der Halbdämon streckte den Kopf hoch und schaute über Leuven hinweg in die Dunkelheit. »Ich vermute, das wird ohne Dein Pferd nicht funktionieren. Es sei denn, Du willst Deinen Karren selbst ziehen. Aber das ist wohl nicht dein Plan, oder?«

»Du sagtest doch, meine Stute würde zurückkehren.«

»Das sagte ich.«

»Also bist Du Dir nicht sicher?« Fragte der junge Mann empört.

»Es war eher eine Vermutung. Aber wenn ich es recht bedenke, glaube ich weniger daran«, bei dessen Worten blieb Evans Stimme kalt. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, als hätte es Leuven besser wissen müssen.

»Ich kann meinen Wagen nicht einfach hier am Straßenrand stehen lassen! – All mein Hab und Gut ist darin!«, brummte dieser.

»Bleib ruhig, du wirst das Rudel anlocken. Morgen wissen wir mehr. Vielleicht kommt sie zurück, vielleicht fressen die Karraks deine Stute. Ich weiß es nicht.«

»Du machst mich verrückt«, schnaubte Leuven. »Ich muss weiter, ich kann hier nicht bleiben.«

»Du solltest schlafen«, sagte Evan und sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen.

»Schlafen? – Du meinst, ich soll schlafen?«

»Genau das meine ich, ja.«

»Ich wurde beinahe von wilden Bestien gefressen, mein Pferd ist verschwunden, und ein Dämon, verzeihung ein Halbdämon sagt mir, ich soll schlafen?«

Evan zuckte mit den Schultern. »Das habe ich gesagt, ja.«

Der junge Mann senkte den Kopf. »Ich hätte zu Hause bleiben sollen.«

Der Halbdämon verzog dieses Mal das Gesicht und nickte leicht. »Ich nehme an, das wäre die bessere Wahl gewesen.«

Leuven baute sich wieder vor ihm auf.

»Du weißt überhaupt nichts!«, meckerte er und stützte seine Hände in die Hüften, neigte sich zu Evan und hob mahnend einen Finger. »Ich hatte keine Wahl. All mein Besitz ist in diesem Wagen, ich muss meine Stute wiederfinden, oder du wirst den Wagen ziehen!«

»Das werde ich nicht. Ich habe dein Leben gerettet, das sollte wohl ausreichend sein«, schnaubte Evan und stand ebenfalls auf.

Beide sahen sich tief in die Augen.

Die roten Augen des Halbdämons flackerten auf.

Allmählich zeigten sich auch in seinem Gesicht Regungen.

Es war ein Zucken an den Mundwinkeln, eine Bewegung der Augenbrauen, aber für den jungen Kaufmann bedrohlich genug.

»Nun gut«, gab Leuven dem Blick nach und wandte den Kopf ab. »Ich habe wohl keine Wahl. Ich werde mich für ein paar Stunden hinlegen. Aber sobald die Sonne aufgeht, werden wir nach meiner Stute suchen.«

»Oder…«

»Oder?«

»In der Nähe gibt es eine Burg..«

»Eine Burg?«, Leuven setzte nachdenklich einen Finger an sein Kinn. »Ja, die Burg Haren. Sie ist der Sitz von Fürst Johan Dancker. Aber wie sollte er uns helfen können?.«

»Wie ich gehört habe, hat er ein Problem«, gab Evan zurück und setzte sich wieder zum Feuer nieder. »Gerüchte besagen, dass ein Poltergeist in seinem Anwesen sein Unwesen treibt.«

»Ein… ein Geist?«, Leuven stellten sich die Nackenhaare auf.

»Ein Poltergeist, ja«, Evan setzte eine finstere Grimasse auf. »Angeblich sucht er die Belegschaft des Hauses in ihren Träumen auf und treibt sie in den Wahnsinn. Der Fürst soll ebenfalls nicht verschont bleiben.«

Der Halbdämon grinste gespenstisch, dann, urplötzlich, wurde seine Miene wieder ausdruckslos. »Aber vielleicht ist das auch nur irgendein Geschwafel, den sich die Leute erzählen.«

»Aber wie soll uns das weiterhelfen?«, fragte der junge Kaufmann.

»Er könnte sich erkenntlich zeigen. Vielleicht kann er dich auch nach Hause bringen lassen«, entgegnete Evan.

»Aber ich will doch gar nicht nach Hause!«, protestiert wiederum Leuven.

»Die Entscheidung liegt bei dir. Aber wenn es wirklich einen Geist gibt«, die Miene des Halbdämons wurde gespenstisch, »dann mache dich auf das Grauen gefasst. Deine schlimmsten Alpträume könnten wahr werden.«

Leuven schluckte. »Meine schlimmsten Alpträume?«

»O ja. Grauenhafte Kreaturen lauern in den Schatten. Sie verzehren einen von innen heraus, verdunkeln einem die Sinne, rauben den Verstand.«

Der Halbdämon wandte sein Gesicht ab. Es amüsierte ihn ein wenig, den jungen Mann zu verunsichern.

Leuven schüttelte sich. »Lass mich die Nacht darüber schlafen.«

»Tue dies«, gab Evan zurück und warf den Rest des trockenen Brotes in das Feuer. »Aber wenn wir nicht verhungern wollen, sollten wir schnellstmöglich etwas Essbares finden.«

Der Kaufmann machte auf dem Absatz kehrt.

Ihm gefiel die Situation gar nicht.

Als er sich mit seiner Stute und den Wagen auf den Weg gemacht hatte, träumte er davon reich zu werden, sich ein Haus am See zu kaufen und dort seine Ruhe zu genießen. Aber es lief nicht ansatzweise so, wie er es sich vorgestellt hatte.

»Du willst nicht schlafen?«, gähnte er.

»Ich werde Wache halten«, gab Evan zurück. »Falls das Rudel Karraks uns angreift, werde ich mich bemerkbar machen.«

»Mach das, mach das.« Leuven blieb abrupt stehen. »Warte, du denkst, die Karraks könnten uns angreifen?«

Achselzuckend schaute der Halbdämon ihn an. »Wer weiß das schon.«

Leuven wanderte zu seinem Karren. Er schob die Plane zur Seite und stieg in den Wagen, der sich dabei leicht zur Seite neigte.

Bevor er die Plane zuzog wagte er noch einen Blick auf den Halbdämon. Konnte er ihm trauen?

Leuven wusste nicht, wie er ihn einschätzen sollte.

Einerseits hatte er großen Respekt vor ihm und seinen Fähigkeiten, andererseits löste er aber auch einen Schauder ihn ihm aus.

Er war ein Halbdämon, wie viel Menschlichkeit war also noch vorhanden? – War das vielleicht auch nur ein Trick und in Wahrheit würde er nur an Leuvens Hab und Gut wollen?

Die Gedanken kreisten um den jungen Mann.

Schließlich setzte sich Leuven kopfschüttelnd auf seine Schlafrolle und zog seine dreckigen Stiefel aus. »Was soll ich nur davon halten?«

Er legte sich nieder und verschränkte die Hände auf seiner Brust.

Er wog die Möglichkeiten ab, hin- und hergerissen zwischen Misstrauen und Verzweiflung.

Langsam wurden seine Augenlider schwerer, und seine Gedanken trübten sich, als er in einen unruhigen Schlaf hinüberglitt.

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