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Kapitel 3: Die Schneiderin

Beschreibung: Evan und Leuven haben Ravensberg verlassen und setzen ihre Reise gen Norden fort. Ihr Weg führt sie durch ein Waldstück, das anfangs noch ruhig erscheint, doch plötzlich passiert etwas unerwartetes: Ein Mann fällt vom Himmel!

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Teil 3

Auf dem Dorfplatz hatte sich in der Zwischenzeit ein Pulk von Menschen gebildet.

Zur Verwunderung des Halbdämons waren sie in rege Gespräche verwickelt.

»Das ist Irrsinn!«, schimpfte ein älterer Herr.

»Fällt dir denn etwas anderes ein?«, fragte ein junger Mann hingegen aufgebracht.

Was hat Leuven denn jetzt wieder angestellt?, fragte sich Evan und suchte den Kaufmann inmitten der Meute.

Dieser kam mit bleichem Gesicht aus der Masse hervor und drängte sich an einigen Dörflern vorbei.

Ihn erwartete das schaurigste Gesicht, das er je gesehen hatte. Evan erwartete ihn wie die Mutter das Kind, das zu spät heimkehrt.

»Kannst du mir das erklären?«, fragte er zornig.

»Ich schwöre dir, damit habe ich nichts zu tun«, gab Leuven kleinlaut zurück. »Die haben etwas vor.«

»Etwas vor?«

»Ja, die wollen sich selbst auf die Jagd nach dem Monster machen. Heute noch.«

»Hey, du!«, der junge Mann, der sich soeben mit dem Alten gestritten hatte, wurde auf Evan aufmerksam. »Bist du derjenige, von dem der Dicke geredet hat?«

Evan blickte entrüstet zu Leuven. »Nicht deine Schuld, ja?«

Die einzige Antwort, die diesem einfiel, war ein verlegenes Achselzucken.

»Du bist ein erfahrener Jäger?«, fragte der junge Dörfler.

Evan musterte ihn kritisch. »Jäger würde ich nicht sagen, aber ich kenne mich mit den verschiedensten Wesen aus. Wohl mehr als ihr.«

Kurz schaute der junge Mann verärgert, dann begutachtete er aber Evans Rüstung und das Schwert, das in der Scheide steckte.

»Ihr seid wohl viel umhergekommen«, sagte er schließlich.

»Das bin ich. Und wenn ich euch allen einen Rat geben darf: Tut nichts Unüberlegtes. Ihr wisst nicht, womit ihr es zu tun habt.«

»Euer Begleiter sagte, dass Ihr ein hervorragender Dämonenjäger seid. Sieben auf einen Streich sollt Ihr getötet haben.«

»Das hat er gesagt?« Wieder warf er einen finsteren Blick zu Leuven.

Dieser wurde im Gesicht weißer als der Schnee im tiefsten Winter.

»Mein Begleiter übertreibt ein wenig. Aber ja, ich hatte es bereits mit den verschiedensten Kreaturen zu tun. Deswegen sage ich auch, dass ihr euch lieber fernhalten solltet.«

Ein anderer junger Mann mischte sich in das Gespräch ein. Er war dürr, mehr Haut und Knochen als gesundes Fett. Die Haut bleich, die Zähne schief.

»Ihr seid doch gekommen, um uns zu helfen, oder etwa nicht?«, fragte dieser.

»In erster Linie bin ich gekommen, um mehr über diese Kreatur in Erfahrung zu bringen. Und wenn ihr mir dabei nicht helfen könnt, dann garantiere ich euch: Wird auf euch nur der Tod warten.«

»Es ist ein Vogel!«, sagte plötzlich eine Frau und drängte sich aus der Menge. »Jawohl, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es war ein großer Vogel. Ein Adler, denke ich.«

»Ein Vogel?« Evan verzog irritiert das Gesicht. »Es wird wohl kaum ein Vogel gewesen sein.«

»Doch, doch, so hört mich doch an. Das war kurz nachdem Emilia verschwunden war. Da habe ich es gesehen. Riesige Flügel hatte es. Ich kam gerade vom Pilzesammeln aus dem Wald«, erzählte die Frau.

»Und wer ist Emilia?« Fragen über Fragen, die sich in Evans Kopf drehten.

Ein Mann mittleren Alters trat vor. Er hatte einen langen, grau-braunen Bart und schütteres Haar. »Meine Tochter. Emilia war … sie ist meine geliebte Tochter.«

Evan rieb sich das Kinn. »Lasst mich raten, dann seid Ihr der Müller?«

»Das bin ich«, gab der Mann zurück. »Und dieses Monster hat sich Emilia einfach so geschnappt, am helllichten Tage. Ich will, dass es dafür bezahlt!«

»Erzählt mir zuerst mehr. Ihr sagtet, sie verschwand am Tage. Hat denn jemand etwas gesehen? Wo genau wurde sie zuletzt gesehen?«

»Nun«, sagte der Müller, »sie wollte zu Jakob. Das ist ihr Verlobter. Die Hochzeit stand an, sie mussten noch etwas besprechen, ist doch so, oder, Jakob?«

Mit trauriger Miene senkte ein junger Mann, der unweit des Müllers stand, seinen Kopf. »Ja, Albert, ja, das stimmt. Sie wollte zu mir.«

Evan sah sich in der Menge um. »Gibt es sonst noch jemanden, der etwas weiß?«

Niemand meldete sich zu Wort.

»Und Ihr?« Evan sprach direkt zu dem jungen Jakob. »Was habt ihr gemacht?«

»Wir? – Was wir gemacht haben?« stammelte dieser nervös. »Wir haben uns nur kurz gesehen. Dann wollte sie zum Fluss.«

»Mehr nicht? – Ihr habt sie nicht begleitet?«

»Nein. Ich konnte nicht. Ich musste mich ja um die Tiere kümmern.«

»Tiere?«

»Jawohl. Meinem Vater gehört der Hof, die Straße hinauf. Ich kümmere mich um Vieh und Felder. Meinem Vater geht es nicht sonderlich gut.«

Der Müller mischte sich ein. »Die Gicht hat ihn befallen, armer Kerl. Jakob hilft ihm so sehr er kann. Er ist ein guter Junge. Das könnt Ihr glauben.«

»Dann seid nicht so dumm«, zischte Evan. »Riskiert nicht euer Leben. Niemand weiß, was dort im Wald lauert, das macht es nur umso gefährlicher.«

»Aber es hat meine Tochter entführt!«, knurrte der Müller wild. »Ich weiß, dass sie noch lebt, ich weiß es einfach. Also mischt euch nicht in unsere Angelegenheiten ein, Fremder! – Wir haben lange darüber diskutiert und sind uns einig, dass wir das Monster selbst erlegen müssen, wenn die Dämonenjäger uns schon nicht helfen. Wenn Ihr uns ebenfalls nicht helfen wollt, dann versucht wenigstens nicht, uns davon abzubringen. Ich muss meine Tochter retten!«

»Ich kann Euren Schmerz nachvollziehen.«

»Könnt Ihr das? – Wohl kaum. Jemand wie Ihr es seid, kann den Schmerz nicht nachvollziehen, den ich gerade spüre. Meine Frau verstarb vor drei Jahren, jetzt wurde meine Tochter entführt. Sie ist alles, was ich noch habe.« Dem Müller liefen die Tränen, und er erhob seine raue Stimme. »Helft uns oder lasst es sein, aber maßt Euch nicht an, uns davon abzuhalten, unser Dorf, unsere Liebsten zu beschützen!«

Es wurde still auf dem Dorfplatz.

Der Halbdämon blickte in die entschlossenen Gesichter der Dörfler. Nur noch wenige von ihnen wandten beschämt ihre Gesichter ab.

Kurz überlegte er, dann schaute er zu Jakob hinüber. »Hast auch du es dir gut überlegt?«

Der junge Mann schluckte den angesammelten Speichel in seiner Kehle hinunter, dann nickte er nervös.

Evan konnte es nicht glauben. Diese Truppe von unerfahrenen Dörflern wollte tatsächlich auf Monsterjagd gehen, ohne dass sie darin Erfahrung hatten oder überhaupt wussten, um was für ein Monster es sich handelte.

»Nun gut.« Der Halbdämon seufzte. »Ich werde euch begleiten, aber eines muss euch allen klar sein: Ich gebe die Befehle. Wenn ich sage, rennt, dann rennt ihr gefälligst auch.«

Kurz schauten sich die Dörfler fragend an, dann nickte ein jeder von ihnen zögerlich.

»Also bereitet euch vor, wir werden morgen früh aufbrechen«, sagte Evan.

»Nein«, wandte der Müller ein.

»Nein?«, irritiert schaute ihn der Halbdämon an.

»Wir werden noch heute auf die Jagd gehen. Wir wissen, dass das Monster am Tage auf der Jagd ist, wir sollten es erwischen, wenn es sich in Sicherheit wähnt.«

Evan schaute in den Himmel. Die Sonne stand am höchsten Punkt. Zu dieser Jahreszeit wurde es aber schnell dunkel. Zu Fuß würden sie bis zum Abend brauchen.

»Ihr wollt also im Dunkeln mit Mistgabeln und Fackeln losmarschieren? – Wieso knüpft ihr euch alle nicht gleich an einem Baum auf?«

»Wir müssen das Monster erschlagen, wenn es am verwundbarsten ist«, schnaubte der Müller und verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust. »Darüber werden wir nicht diskutieren.«

Evan schaute erbost zu Leuven hinüber. Diesem lief es eiskalt den Rücken hinunter.

Der Halbdämon wandte sich wieder an die Dörfler. »Es gibt einfachere Wege, sich das Leben zu nehmen, als solch eine irrsinnige Jagd. Nicht einer von euch ist erprobt im Kampf, schon gar nicht gegen ein unbekanntes Monster. Ihr spielt mit dem Leben aller, aber eure Torheit lähmt euch in euren Gedanken. Nun gut. Ich werde euch begleiten, aber mein Wort ist Gesetz. Wird es zu gefährlich, dann treten wir den schnellen Rückzug an.«

Der Müller nickte zufrieden. »Das werden wir.«

Evan hingegen war ganz und gar nicht zufrieden. Er war hin- und hergerissen, glaubte dem Müller seine Worte nicht.

Letztendlich wusste er aber, dass die Dörfler entschlossen waren, ob er sie begleiten würde oder nicht.

Die Ansammlung auf dem Dorfplatz löste sich auf. Jeder Dorfbewohner machte sich auf den Heimweg.

Einige von ihnen, um alles zusammenzusuchen, was halbwegs als Waffe durchgehen konnte, während die anderen angsterfüllt darauf hofften, dass der Spuk bald ein Ende haben würde.

»Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte Leuven vorsichtig seinen Begleiter.

Beide standen noch eine Weile auf dem Dorfplatz. Einige Zeit schwiegen sie.

»Das ist die schlechteste Wahl, die sie hätten treffen können. Ein paar Bauern, bewaffnet mit Mistgabeln, Messern und Holzknüppeln. Das wird ein böses Ende nehmen«, schnaubte der Halbdämon und machte kehrt.

Er wanderte zu Ida hinüber, die gerade einen großen Schluck Wasser aus einem Trog trank. Evan stieg auf den Kutschbock und verschwand hinter der Plane.

»Und was hast du jetzt vor?«, fragte der junge Kaufmann.

»Na, was wohl?« Evans Stimme drang hallend aus dem Kutschwagen hervor. »Ich bereite mich auf den Abend vor.«

»Und was soll ich machen?«

»Du? – Du wirst im Dorf bleiben. Kümmere dich um unseren Proviant, worum ich dich bereits gebeten habe«, der Halbdämon kam aus der Plane hervor mit seinem Reisesack in der Hand. »Und erzähle nicht überall herum, dass ich irgendein Dämonenjäger sei. Bring uns einfach nicht in Schwierigkeiten.«

»Es war nicht meine Schuld. Wirklich!«, protestierte der junge Kaufmann.

»Natürlich nicht.«

»Niemand hat auf meine Worte gehört«, fuhr Leuven fort. »Sie hatten ihren Entschluss bereits getroffen. Von langer Hand geplant, will ich meinen.«

»Soll nun auch egal sein«, stöhnte der Halbdämon, kontrollierte seine Arm- und Beinschienen und sprang dann vom Kutschwagen hinab.

»Stelle einfach keinen Unfug an«, sagte er schließlich zu seinem Begleiter.

Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, als ein halbes Dutzend Dörfler, angeführt von Evan, das Dorf in Richtung Wald verließen.

Der Müller hatte ausschließlich jüngere Männer für diese Jagd ausgewählt, unter ihnen auch Jakob, der immer wieder nervös hin und her blickte, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

»Habt Ihr schon viele Monster getötet?«, fragte der Müller, als er einen Gang zulegte, um von Evan nicht abgehängt zu werden.

»Einige, ja«, gab dieser wiederum knapp zurück.

»Muss ein aufregendes Leben sein.«

Evan musterte den Müller scharf. »Jetzt hört auf damit. Bereitet Euch lieber auf euren Tod vor, anstatt hier noch Konversationen führen zu wollen.«

»Verzeiht mir. Ich wollte nur wissen, mit wem ich es zu tun habe«, antwortete der Müller kleinlaut.

»Das spielt keine Rolle. Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben. Also wissen wir auch nicht, wann es angreifen könnte.«

Der Müller verstummte, doch das flackernde Licht der Fackeln ließ seine verkniffenen Gesichtszüge erkennen. Ihre Umgebung war von einem gespenstischen Schweigen erfüllt, als sie tiefer in den dunklen Wald eindrangen.

Die Nacht hatte die Szenerie verschlungen, und die Fackeln warfen bedrohliche Schatten auf den Boden. Evan vertraute lieber auf seine dämonischen Sinne als auf die flackernden Flammen, die ihnen ein trügerisches Gefühl von Sicherheit gaben.

»Hört mir zu«, raunte er leise, aber mit schneidender Stimme. »Bleibt dicht beisammen. Und seid vor allem still. Diese Fackeln machen uns so auffällig wie das Morgenrot. Und wenn ich sage, dass ihr verschwinden sollt, dann tut ihr das ohne Widerworte.«

Die Dörfler nickten nervös, doch Evan hatte seine Zweifel, ob sie wirklich verstanden hatten, worauf sie sich eingelassen hatten.

Als sie tiefer in den finsteren Wald vordrangen, veränderte sich die Atmosphäre. Die lebendige Energie des Tages war einem unheimlichen, lauernden Gefühl gewichen. Der Wind raschelte durch die Bäume, als wollte er ihnen zuflüstern, dass sie nicht allein waren.

Ein Gefühl der Anspannung lag in der Luft, und Evans Nackenhaare stellten sich auf. Etwas war da draußen. Etwas, das auf sie wartete.

Dann vernahm er es—ein leises Knacken in den Baumkronen. Für das menschliche Ohr unhörbar, doch für seine dämonischen Sinne wie ein lauter Knall. Er hielt abrupt inne, streckte die Hand aus, und die Truppe verharrte. Nervös schauten die Männer umher, während die Fackeln unruhig flackerten.

Evans Augen begannen, unheilvoll zu glühen. Er versuchte, das Monster zu erspähen, doch es blieb unsichtbar, verborgen im Dunkel der Bäume. Der Wind verstärkte sich, brachte die Blätter zum Tanzen, und dann spürte Evan es—einen schnellen Windstoß, der an ihm vorbeisauste, gefolgt von einem plötzlichen Sturm, der die Nacht wie ein brüllendes Biest durchbrach.

Ein markerschütternder Schrei hallte durch die Finsternis. Eine Fackel erlosch. Panik griff sofort um sich.

»Was zur Hölle war das?« rief einer der Männer atemlos.

»Joos! Es hat Joos erwischt!« krächzte ein anderer in heller Aufregung.

»Verflucht, seid still!« zischte Evan.

Doch es war zu spät. Panik hatte sich bereits in den Herzen der Männer festgesetzt. »Wir sind verloren! Das Monster hat uns gefunden!« schrie ein Mann, während er rückwärts taumelte.

Evan trat vor, seine Augen lodernd, das Schwert gezogen. »Bleibt zusammen, wenn ihr leben wollt.«

Ein Knacken ertönte über ihnen, gefolgt von einem schweren Aufprall, als etwas aus den Baumkronen fiel und mit einem dumpfen Geräusch in einem Haufen Blätter landete.

»Was… was ist das?« fragte einer der Männer mit zitternder Stimme und richtete die Fackel auf das, was vor ihnen lag.

Ein entsetzter Schrei erklang, als sie erkannten, was vor ihnen lag: der abgetrennte Kopf von Joos, sein Gesicht zu einem grotesken Grinsen verzerrt.

Chaos brach aus. Die Männer trampelten kopflos umher, von Angst überwältigt. Evan spürte, wie die Kontrolle über die Situation entglitt. »Bleibt ruhig!« rief er, doch seine Worte gingen im Tumult unter.

Einer der Männer, wahnsinnig vor Angst, setzte zur Flucht an. »Ich bleibe keinen Augenblick länger in diesem verfluchten Wald!« schrie er und rannte los. Andere folgten seinem Beispiel. Die Lichter der Fackeln flackerten und verschwanden im Dunkel des Waldes.

Nur der Müller und Jakob blieben bei Evan, beide bleich und zitternd, aber zu entschlossen, um zu fliehen.

»Was jetzt?« fragte der Müller heiser, seine Augen wanderten nervös durch die Dunkelheit.

»Hoffen wir, dass sie es lebend hinaus schaffen«, murmelte Evan düster. »Für uns gibt es hier nichts mehr zu retten. Wir kehren um.«

»Nein!« zischte der Müller wütend. »Ich werde nicht umkehren. Ich bin hier, um meine Tochter zu retten, und das werde ich tun. Wir gehen weiter.«

Evans dämonische Augen funkelten im schwachen Licht der verbleibenden Fackeln. »Eure Hoffnung ist vergebens. Ihr habt gesehen, was passiert, wenn wir tiefer in den Wald gehen.«

Der Müller knurrte. »Das ist mir egal. Ich werde meine Tochter zurückholen. Ihr habt mir versprochen zu helfen.«

»Und Ihr habt versprochen, auf meine Anweisungen zu hören«, erwiderte Evan kalt.

Die Spannung zwischen den beiden Männern war greifbar, als Jakob schließlich das Wort ergriff. »Streiten bringt uns nicht weiter. Wir sollten lieber einen kühlen Kopf bewahren.«

Der Müller schnaubte. »Hättest du Emilia begleitet, wäre sie nicht verschwunden! Du hast versagt.«

Jakobs Gesicht erbleichte. »Ich… ich konnte doch nicht ahnen…«

»Das ist kein Argument«, knurrte der Müller. »Aber eins sage ich dir: Wenn wir Emilia zurückholen, ist die Hochzeit abgesagt. Du bist es nicht wert.«

Evan rollte innerlich die Augen. »Ihr könnt eure Hochzeitspläne auf Eis legen – wenn wir lebend hier rauskommen.«

Just in diesem Moment drang ein weiterer Schrei aus der Ferne durch den Wald.

Der Schrei kam von Osten, wenige hundert Meter von ihnen entfernt.

»Egal, was es ist. Ob ein riesiger Vogel oder sonst irgendetwas. Wenn wir hier verweilen, dann wird es uns wie den anderen ergehen«, sagte der Halbdämon eindringlich. »Einer nach dem anderen wird geschnappt. Wir sind hier nicht die Jäger. Wir sind die Mäuse auf offenem Feld.«

Jakob nickte zustimmend. »Ihr habt recht. Wir sollten…«

»Einen Scheiß!«, brüllte der Müller auf. »Keine Ehre steckt in euch beiden.«

»Das hat mit Ehre nichts zu tun«, sagte Evan. »Glaubt mir, ich habe schon die unterschiedlichsten Wesen gesehen. Geister, grässliche Kreaturen. Wir werden es aufspüren und zur Strecke bringen, aber nicht heute, nicht jetzt.«

»Sinnloses Gelaber!« Der Müller streckte die Fackel aus und marschierte weiter.

»Aber Albert, wir sollten…«, stammelte Jakob und blickte dem Müller entrüstet hinterher.

»Lass ihn«, Evans Stimme war kalt. »Ich bin schon genug lebensmüden Personen begegnet. Haben sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt, dann lassen sie sich nur schwer davon abbringen.«

»Aber wir können ihn doch nicht einfach in den Tod laufen lassen!«, protestierte der junge Mann und gestikulierte dabei wild mit den Armen.

»Nein.« Der Halbdämon seufzte. »Ich werde ihm folgen, aber du solltest zurück ins Dorf gehen. Bleib auf dem Weg und versuche, so leise wie möglich zu sein.«

»Ihr wollt mich doch nicht allein durch den Wald gehen lassen?«

»Du hast noch die Wahl, Albert zu folgen und Emilia zu retten.«

Jakob war die Anspannung ins Gesicht geschrieben. »Glaubt Ihr, dass sie noch lebt?«

Evan dachte kurz nach. Sie waren nur kurz im Wald, und sie waren die Letzten ihrer Gruppe. Er glaubte nicht wirklich daran, aber ließ es sich nicht anmerken. »Wer weiß.«

»Ich, ich möchte es gerne glauben«, gab Jakob stotternd zurück. »Das würde alles leichter machen.«

»Inwiefern?«

Jakob schrak auf. »Ich meinte, dann könnten wir sie in Sicherheit bringen, zurück nach Hause.«

»Das wäre zumindest der Plan.« Evan ging voraus. »Es ist deine Wahl. Geh oder komm mit, aber verhalte dich ruhig.«

Jakob war sichtlich unwohl. Er blickte wild in jede Richtung, biss sich auf die Lippe und folgte schließlich dem Halbdämon.

»Wir sollten Albert einholen, ehe wir ihn auch noch verlieren«, sprach Evan mit ernstem Blick.

Sie wanderten tiefer in den Wald hinein, Augen und Ohren auf ihre Umgebung gerichtet.

Bei jedem ungewöhnlichen Geräusch erhob Evan seinen Kopf, hielt Jakob an, achtsam zu sein.

Der Halbdämon konnte nur erahnen, in welche Richtung der Müller gegangen war.

Er hielt inne.

Jakob stieß dabei fast gegen ihn, wankte, konnte sich aber noch auf den Beinen halten. Seine Fackel flammte bedrohlich auf.

»Vorsicht. Oder willst du den ganzen Wald in Brand setzen?«, fragte Evan finster.

Sie gingen weiter, über Stock und Stein, über morsche Baumstämme und moosbewachsene Hügel, ehe sie eine kleine Lichtung erreichten.

Laute Schreie und kräftiges Gebrüll waren zu vernehmen.

Evans Sinne waren geschärft, rasch bewegte er sich auf die Lichtung zu und erkannte, wie Albert angestrengt mit seiner Fackel umherfuchtelte.

Lange, federbesetzte Flügel und spitze, tödliche Klauen offenbarten sich.

Wie ein Kriegsschrei ertönte Alberts Gebrüll im Wald. Mit seiner Fackel und seiner Axt schlug er nach dem Monster, das immer wieder versuchte, mit seinen Klauen nach ihm zu greifen.

Geschwind schritt Evan dem Müller zur Hilfe, zog rasch sein Schwert aus der Scheide, versuchte nach der Bestie zu schlagen, doch er verfehlte sie.

Mit einem schrillen Schrei stieg das Monster in die Lüfte und verschwand zwischen den dichten Baumkronen.

»Verflucht noch eins, was ist das?«, fragte Albert nach Atemluft schnappend. »Ich habe es gesehen, ich habe es gesehen.«

»Was meint Ihr?«, fragte Evan und blickte konzentriert umher, bedacht darauf, dass das Monster zurückkehren könnte.

»Es war ein Vogel, aber auch ein Mensch, ein Vogelmensch. Ich bin mir sicher, ich irre mich nicht!«, prustete der Müller und wirkte äußerst aufgebracht. »Dieses Gesicht, es kam mir so vertraut vor.«

Evan schaute angestrengt zu Albert hinüber. »Seid Ihr euch sicher?«

»Jawohl. So wie ich es euch doch sage!«, sprach Albert.

»Dann weiß ich, womit wir es zu tun haben«, gab Evan ernst zurück. »Es kann nur eine Harpyie sein.«

In diesem Moment schrie Jakob auf.

Erschrocken blickten Evan und Albert zu ihm hinüber und mussten mit ansehen, wie sich die spitzen Krallen des Monsters in die Schulter des jungen Mannes bohrten und ihn langsam in die Luft hoben.

»Helft mir, so helft mir doch!«, rief Jakob ihnen entgegen.

Er wandte sich umher, wie ein Fisch, der auf dem Trockenen lag.

Es mussten unerträgliche Schmerzen sein, die seinen Körper durchzogen, während die Bestie ihn immer weiter hinaufhob.

Evan sprintete auf das Monster zu, doch es war bereits zu weit entfernt.

Mit einem lauten Getöse flog es über Evans und Alberts Köpfe hinweg in den Wald. Die schmerzlichen Schreie des jungen Mannes hallten hinterher.

»Verflucht noch eins, wir müssen sofort hinterher!«, polterte der Müller und war bereits im Begriff, der Harpyie zu folgen, ehe er bemerkte, dass der Halbdämon sich nicht bewegte. »Was habt ihr? – Schnell, wir müssen schnell sein.«

»Seid kein Narr«, schnaubte Evan. »Wenn wir ihr folgen, dann wird es uns ebenfalls so ergehen.«

»Aber«, stammelte Albert aufgelöst, »wir müssen ihn doch retten, Emilia retten.«

»Wir haben es hier mit einer Harpyie zu tun. Ein mächtiger Fluch ist hier am Werk. Es wäre töricht, weiter unbedacht zu agieren. Außerdem gabt ihr mir euer Wort, dass ihr meinen Befehlen Folge leisten werdet«, gab der Halbdämon fordernd zurück.

Der Müller schüttelte sich, bäumte sich auf. »Wenn ihr nicht die Eier dazu habt, dann verschwindet. Aber ich werde ihnen folgen.«

Selbstbewusst und voller Wut rannte Albert drauflos, ohne zu wissen, ob es nicht sein Leben kosten könnte.

»Bleibt stehen!«, brüllte der Halbdämon ihm hinterher. Doch er hörte nicht und verschwand im dunklen Dickicht, nur ein heller Leuchtkegel, der von Alberts Fackel herrührte, war noch zu sehen.

Der Halbdämon war hin und hergerissen. Sollte er zurück in das Dorf gehen und einen Plan ausarbeiten oder Hals über Kopf dem armen Trottel folgen?

Er hasste sich selbst dafür, aber er wollte den Müller nicht allein in sein Verderben rennen lassen und folgte ihm knurrend.

Der Wald war dicht, und eine unheimliche Aura umgab ihn.

Trotz seiner verbesserten Sinne konnte der Halbdämon kaum etwas im Dickicht erkennen.

Doch ein penetranter Geruch stieg ihm in die Nase und kurze Zeit später ein hitziger Schwall.

Evan war sofort alarmiert. Er preschte sich durch die dicken Äste, die ihm im Weg waren, und erreichte schlussendlich eine weitere Lichtung, zumindest nahm er dies an.

Um ihn herum züngelten plötzlich meterhohe Flammen. Sofort fühlte er sich zurückversetzt an den Moment, als er in der Kathedrale von Rabensberg stand und sich gegen den tödlichen Eldári wehren musste.

»Scheiße!«, fluchte er. »Nicht schon wieder.«

In der Mitte der lodernden Feuersbrunst schlug Albert wild mit seiner Axt nach der Harpyie. »Du Mistvieh, wo ist meine Tochter!«

Evan kam ihm zur Hilfe. Zumindest versuchte er es.

Immer wieder streckte die Bestie ihre langen Klauen nach den beiden aus und erhob sich wieder in die Luft, wenn Evan und Albert mit ihren Waffen nach ihr schlugen.

»Das bringt so nichts!«, rief der Halbdämon aus. »Was hast du hier überhaupt angestellt?«

Angestrengt blickte Albert zu ihm hinüber. »Was meinst du? – Das war ich nicht. Jakob muss seine Fackel fallen gelassen haben, als dieses Monster ihn fortgeschleppt hat.«

In der Tat. Von Jakob war weder etwas zu hören noch zu sehen. Das ließ für Evan nur den Schluss zu, dass sich das Nest der Harpyie nicht weit entfernt befinden konnte.

»Lass uns gehen!«, brüllte er dem Müller entgegen. »Wir wissen jetzt, womit wir es zu tun haben.«

Albert aber hörte nicht auf seine Worte. Fest nahm er den Griff seiner Axt in die Hand, holte aus und versuchte, das Monster zu erwischen.

Kreischend streckte sie ihm ihre Klauen entgegen, packte seinen Körper und hob nun auch ihn in die Luft.

»Nein, lass mich runter!«, brüllte Albert, als er unter seinen Füßen keinen Grund mehr spürte.

Verzweifelt wandte er sich zwischen den Klauen hin und her, doch je mehr er sich wehrte, desto fester wurde der Griff der Bestie.

Evan versuchte noch, ihn zu erreichen, doch die Harpyie stieg kreischend in den Himmel hinauf und verschwand mit Albert in der Finsternis.

Die letzten Hilferufe hallten gen Boden.

»Dummer Narr«, knirschte der Halbdämon zwischen zusammengebissenen Zähnen. Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurde ihm klar, dass die Gefahr noch längst nicht vorüber war.

Um ihn herum loderten die Flammen wie lebendige Bestien, die ihn gnadenlos einkesselten.

Ein Entkommen schien unmöglich. Der glühende Ring zog sich immer enger zusammen, als wollte das Feuer ihn verschlingen.

Evan blickte angestrengt umher, seine scharfen Augen suchten fieberhaft nach einem Ausweg. Doch es war vergebens. Das Feuer umzingelte ihn mit einer tödlichen Beharrlichkeit.

Die Hitze war erdrückend, fast überwältigend. Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht. Er fiel auf die Knie, die Verzweiflung nagte an ihm, als er spürte, wie ihm die Zeit davonlief.

Da, wie aus dem Nichts, strich plötzlich ein zarter Windhauch über seine erhitzte Wange.

Es war, als würde die Natur selbst ihn berühren, nur um im nächsten Moment in einen wilden, unbändigen Sturm zu eskalieren.

Der Wind fegte durch die Flammen und brachte sie zum Tanzen, als wären sie die zischenden Schwänze wütender Schlangen, die zum Angriff ansetzten.

Mit einem lauten Fauchen öffnete sich inmitten des tobenden Feuers ein Durchgang.

Die lodernden Flammen wichen zurück, gezwungen von der gewaltigen Kraft des Sturms, und formten eine brennende Schneise, die immer weiter wuchs.

In dem brodelnden Inferno zeichnete sich plötzlich eine schwarze Silhouette ab. Dahinter trat eine zweite Gestalt aus den wirbelnden Flammen hervor.

Evan erkannte das blaue Funkeln, das plötzlich aufblitzte.

Die sanfte Stimme einer Frau erklang und die Umgebung wurde in ein hellblaues Licht getaucht.

Es blendete den Halbdämon.

Das Licht wurde schwächer und er erkannte allmählich die Umrisse einer Person vor sich.

»Evan!«, erklang die erfreute Stimme von Leuven in seinen Ohren.

Der junge Kaufmann half ihm auf die Beine.

»Ich muss zugeben«, sagte der Halbdämon und ließ ein leichtes Grinsen über sein Gesicht zucken, »ich bin ausnahmsweise froh, dass du nicht auf mich gehört hast.«

Die sanfte Stimme der Frau erklang abermals. Es war die Stimme der Zauberin aus dem Dorf. Sie wandelte sich in eine boshafte Brandrede. »Das war töricht! – Nein, absolut dumm von euch. Von den Männern aus dem Dorf habe ich nichts anderes erwartet, aber wenigstens ihr hättet es besser wissen müssen.«

Sie stemmte die Fäuste gegen ihre Hüfte. »Was habt ihr erwartet, was passieren würde?«

Evan schaute sie trocken an, als er sich den Ruß von seiner Rüstung klopfte. »Ich konnte die Männer nicht allein gehen lassen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass uns hier draußen eine Harpyie erwartet.«

Erschrocken riss die Zauberin ihre Augen auf. »Eine Harpyie?«

Nachdenklich legte sie einen Finger an ihr Kinn. Ihre Stimmung hatte sich komplett verändert und der Zorn verschwand aus ihrem Gesicht. »Eine Harpyie. Ich hatte bereits den Verdacht, aber um einen Menschen in eine Harpyie zu verwandeln, bedarf es tiefer Kenntnisse in dunkler Magie. Deswegen hatte ich es ausgeschlossen. Warum auch sollte sich ein dunkler Zauberer in diese Wälder verirren?«

»Vielleicht eine Hexe?«, fragte Evan stoisch.

»Nein«, entgegnete die junge Frau. »Das wäre mir aufgefallen. Außerdem müsste es einen Grund dafür geben, warum man einem Menschen so etwas antut.«

»Moment«, Leuven mischte sich ein. »Sprechen wir hier über eine waschechte Harpyie? – Lange Flügel, Körper eines Menschen, Harpyie, wusch wusch?«

Er machte eine komische Armbewegung, als würde er sie als Flügel einsetzen wollen.

Evan schüttelte den Kopf. »Überrascht es dich wirklich so sehr? – Wir sind einem Hintz begegnet, wir sind Eldári begegnet.«

»Ihr seid was?«, fragte die Zauberin erstaunt. »Ihr seid wirklich Eldári begegnet? – Ich hätte niemals gedacht, dass sie sich in diesen Landen jemals wieder zeigen würden.«

Stolz hob Leuven seinen Zeigefinger. »So ist es aber. Hast du vom Brand der Kathedrale in Rabensberg gehört?«

Die junge Frau schaute ihn fragend an.

Ehe Leuven weiterreden konnte, schnitt Evan ihm das Wort ab. »Genug davon. Wir haben keine Zeit für Geschichten.« Er richtete seinen Blick auf die Zauberin und fuhr fort. »Deine Kräfte sind beeindruckend, ich wusste doch, dass du mehr kannst, als nur Kleider nähen.«

Die Zauberin, gerade noch von Leuven und dem Gespräch abgelenkt, sah überrascht zu Evan. Ihre Augen weiteten sich leicht, als ihr bewusst wurde, was er sagte. »Ich hatte selbst nicht mehr daran geglaubt«, gab sie leise zurück.

Evan nickte. »Verschwende deine Fähigkeiten nicht.«

Er klopfte sich den letzten Ruß von der Schulter und schenkte ihr einen kurzen, ernsten Blick.

Für einen Moment schien Leana sprachlos. Dann, ganz langsam, huschte ein kleines, aber aufrichtiges Lächeln über ihr Gesicht. »Danke«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme war ruhig und voller neuer Erkenntnis. »Ich glaube, du hast recht. Vielleicht war ich doch zu verbohrt. Aber wären wir nur einige Zeit später eingetroffen, dann hätte sich das Feuer mit Sicherheit weiter ausgebreitet.«

»Wieso habt ihr euch eigentlich dazu entschlossen, mir doch zu folgen?«, fragte der Halbdämon.

»Nun, euer Freund hier bat mich um Hilfe. Ich habe ihm das Gleiche gesagt wie auch Euch, aber er war deutlich hartnäckiger und, das muss ich betonen, weinerlicher«, gab sie zurück.

Kurz lachte Evan auf. »Ja, das drückt es perfekt aus.«

Leuven aber gefiel das ganz und gar nicht. Er streckte seinen Rücken und zog sein Gesicht in Falten. »Das ist überhaupt nicht wahr«, spuckte er giftig.

»Übrigens«, die junge Frau setzte ein Lächeln auf, »ihr könnt mich Leana nennen.«

Der Halbdämon nahm ihre Worte mit einem Nicken zur Kenntnis.

»Schön, dass wir uns jetzt alle vorgestellt haben«, prustete Leuven und wirkte aufgeregt. »Aber wir sollten nicht vergessen, dass hier immer noch eine Harpyie auf uns lauert. Also sollten wir uns sputen.«

»Du brauchst dich nicht zu fürchten. Sie wird uns nichts antun«, gab Evan trocken zurück.

»Was, wieso?«, fragte Leuven. Die Fragezeichen standen ihm ins Gesicht geschrieben.

Ernst blickten der Halbdämon und die Zauberin in den finsteren Himmel hinauf. Dann sprach Leana mit erklärender Stimme. »Sie hat, was sie will. Wir sind für sie uninteressant.«

»Sie hat, was, wer, wo?« Der junge Kaufmann wirkte komplett durcheinander, schaffte es nicht einmal, vollständige Sätze zu bilden.

»Leana hat Recht«, stimmte Evan der jungen Frau zu. »Die Harpyie hatte überhaupt kein Interesse an mir, allerdings an Albert und Jakob. Das heißt, dass sie als Mensch eine enge Verbindung zu beiden hatte. Das wiederum heißt…«

Leana nahm ihm das Wort ab. »Das heißt, dass es sich aller Voraussicht nach um Emilia handelt.«

Sie blickte den Halbdämon frech an.

»Emilia?«, Leuven verzog das Gesicht. »Ah, die Tochter des Müllers und Verlobte von diesem Jakob.«

»Richtig«, meinte Evan. »Wir müssen nur herausfinden, was geschehen ist.«

»Wir sollten allerdings vorerst ins Dorf. Bei Nacht werden wir keine Lösung finden. Ich könnte in meinen Büchern nachschauen, wie wir den Fluch von einer Harpyie nehmen können.«

Leuven und Evan stimmten zu.

Sie bewegten sich eine Weile durch den düsteren Wald, dessen Bäume wie Wächter in der Nacht standen, bis sie schließlich die Hauptstraße erreichten.

Dort wartete Ida bereits auf sie, ihre Gestalt in der Finsternis nur schwer erkennbar.

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Kapitel 3
Die Schneiderin

Beschreibung: Evan und Leuven haben Ravensberg verlassen und setzen ihre Reise gen Norden fort. Ihr Weg führt sie durch ein Waldstück, das anfangs noch ruhig erscheint, doch plötzlich passiert etwas unerwartetes: Ein Mann fällt vom Himmel!

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Teil 3

Auf dem Dorfplatz hatte sich in der Zwischenzeit ein Pulk von Menschen gebildet.

Zur Verwunderung des Halbdämons waren sie in rege Gespräche verwickelt.

»Das ist Irrsinn!«, schimpfte ein älterer Herr.

»Fällt dir denn etwas anderes ein?«, fragte ein junger Mann hingegen aufgebracht.

Was hat Leuven denn jetzt wieder angestellt?, fragte sich Evan und suchte den Kaufmann inmitten der Meute.

Dieser kam mit bleichem Gesicht aus der Masse hervor und drängte sich an einigen Dörflern vorbei.

Ihn erwartete das schaurigste Gesicht, das er je gesehen hatte. Evan erwartete ihn wie die Mutter das Kind, das zu spät heimkehrt.

»Kannst du mir das erklären?«, fragte er zornig.

»Ich schwöre dir, damit habe ich nichts zu tun«, gab Leuven kleinlaut zurück. »Die haben etwas vor.«

»Etwas vor?«

»Ja, die wollen sich selbst auf die Jagd nach dem Monster machen. Heute noch.«

»Hey, du!«, der junge Mann, der sich soeben mit dem Alten gestritten hatte, wurde auf Evan aufmerksam. »Bist du derjenige, von dem der Dicke geredet hat?«

Evan blickte entrüstet zu Leuven. »Nicht deine Schuld, ja?«

Die einzige Antwort, die diesem einfiel, war ein verlegenes Achselzucken.

»Du bist ein erfahrener Jäger?«, fragte der junge Dörfler.

Evan musterte ihn kritisch. »Jäger würde ich nicht sagen, aber ich kenne mich mit den verschiedensten Wesen aus. Wohl mehr als ihr.«

Kurz schaute der junge Mann verärgert, dann begutachtete er aber Evans Rüstung und das Schwert, das in der Scheide steckte.

»Ihr seid wohl viel umhergekommen«, sagte er schließlich.

»Das bin ich. Und wenn ich euch allen einen Rat geben darf: Tut nichts Unüberlegtes. Ihr wisst nicht, womit ihr es zu tun habt.«

»Euer Begleiter sagte, dass Ihr ein hervorragender Dämonenjäger seid. Sieben auf einen Streich sollt Ihr getötet haben.«

»Das hat er gesagt?« Wieder warf er einen finsteren Blick zu Leuven.

Dieser wurde im Gesicht weißer als der Schnee im tiefsten Winter.

»Mein Begleiter übertreibt ein wenig. Aber ja, ich hatte es bereits mit den verschiedensten Kreaturen zu tun. Deswegen sage ich auch, dass ihr euch lieber fernhalten solltet.«

Ein anderer junger Mann mischte sich in das Gespräch ein. Er war dürr, mehr Haut und Knochen als gesundes Fett. Die Haut bleich, die Zähne schief.

»Ihr seid doch gekommen, um uns zu helfen, oder etwa nicht?«, fragte dieser.

»In erster Linie bin ich gekommen, um mehr über diese Kreatur in Erfahrung zu bringen. Und wenn ihr mir dabei nicht helfen könnt, dann garantiere ich euch: Wird auf euch nur der Tod warten.«

»Es ist ein Vogel!«, sagte plötzlich eine Frau und drängte sich aus der Menge. »Jawohl, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es war ein großer Vogel. Ein Adler, denke ich.«

»Ein Vogel?« Evan verzog irritiert das Gesicht. »Es wird wohl kaum ein Vogel gewesen sein.«

»Doch, doch, so hört mich doch an. Das war kurz nachdem Emilia verschwunden war. Da habe ich es gesehen. Riesige Flügel hatte es. Ich kam gerade vom Pilzesammeln aus dem Wald«, erzählte die Frau.

»Und wer ist Emilia?« Fragen über Fragen, die sich in Evans Kopf drehten.

Ein Mann mittleren Alters trat vor. Er hatte einen langen, grau-braunen Bart und schütteres Haar. »Meine Tochter. Emilia war … sie ist meine geliebte Tochter.«

Evan rieb sich das Kinn. »Lasst mich raten, dann seid Ihr der Müller?«

»Das bin ich«, gab der Mann zurück. »Und dieses Monster hat sich Emilia einfach so geschnappt, am helllichten Tage. Ich will, dass es dafür bezahlt!«

»Erzählt mir zuerst mehr. Ihr sagtet, sie verschwand am Tage. Hat denn jemand etwas gesehen? Wo genau wurde sie zuletzt gesehen?«

»Nun«, sagte der Müller, »sie wollte zu Jakob. Das ist ihr Verlobter. Die Hochzeit stand an, sie mussten noch etwas besprechen, ist doch so, oder, Jakob?«

Mit trauriger Miene senkte ein junger Mann, der unweit des Müllers stand, seinen Kopf. »Ja, Albert, ja, das stimmt. Sie wollte zu mir.«

Evan sah sich in der Menge um. »Gibt es sonst noch jemanden, der etwas weiß?«

Niemand meldete sich zu Wort.

»Und Ihr?« Evan sprach direkt zu dem jungen Jakob. »Was habt ihr gemacht?«

»Wir? – Was wir gemacht haben?« stammelte dieser nervös. »Wir haben uns nur kurz gesehen. Dann wollte sie zum Fluss.«

»Mehr nicht? – Ihr habt sie nicht begleitet?«

»Nein. Ich konnte nicht. Ich musste mich ja um die Tiere kümmern.«

»Tiere?«

»Jawohl. Meinem Vater gehört der Hof, die Straße hinauf. Ich kümmere mich um Vieh und Felder. Meinem Vater geht es nicht sonderlich gut.«

Der Müller mischte sich ein. »Die Gicht hat ihn befallen, armer Kerl. Jakob hilft ihm so sehr er kann. Er ist ein guter Junge. Das könnt Ihr glauben.«

»Dann seid nicht so dumm«, zischte Evan. »Riskiert nicht euer Leben. Niemand weiß, was dort im Wald lauert, das macht es nur umso gefährlicher.«

»Aber es hat meine Tochter entführt!«, knurrte der Müller wild. »Ich weiß, dass sie noch lebt, ich weiß es einfach. Also mischt euch nicht in unsere Angelegenheiten ein, Fremder! – Wir haben lange darüber diskutiert und sind uns einig, dass wir das Monster selbst erlegen müssen, wenn die Dämonenjäger uns schon nicht helfen. Wenn Ihr uns ebenfalls nicht helfen wollt, dann versucht wenigstens nicht, uns davon abzubringen. Ich muss meine Tochter retten!«

»Ich kann Euren Schmerz nachvollziehen.«

»Könnt Ihr das? – Wohl kaum. Jemand wie Ihr es seid, kann den Schmerz nicht nachvollziehen, den ich gerade spüre. Meine Frau verstarb vor drei Jahren, jetzt wurde meine Tochter entführt. Sie ist alles, was ich noch habe.« Dem Müller liefen die Tränen, und er erhob seine raue Stimme. »Helft uns oder lasst es sein, aber maßt Euch nicht an, uns davon abzuhalten, unser Dorf, unsere Liebsten zu beschützen!«

Es wurde still auf dem Dorfplatz.

Der Halbdämon blickte in die entschlossenen Gesichter der Dörfler. Nur noch wenige von ihnen wandten beschämt ihre Gesichter ab.

Kurz überlegte er, dann schaute er zu Jakob hinüber. »Hast auch du es dir gut überlegt?«

Der junge Mann schluckte den angesammelten Speichel in seiner Kehle hinunter, dann nickte er nervös.

Evan konnte es nicht glauben. Diese Truppe von unerfahrenen Dörflern wollte tatsächlich auf Monsterjagd gehen, ohne dass sie darin Erfahrung hatten oder überhaupt wussten, um was für ein Monster es sich handelte.

»Nun gut.« Der Halbdämon seufzte. »Ich werde euch begleiten, aber eines muss euch allen klar sein: Ich gebe die Befehle. Wenn ich sage, rennt, dann rennt ihr gefälligst auch.«

Kurz schauten sich die Dörfler fragend an, dann nickte ein jeder von ihnen zögerlich.

»Also bereitet euch vor, wir werden morgen früh aufbrechen«, sagte Evan.

»Nein«, wandte der Müller ein.

»Nein?«, irritiert schaute ihn der Halbdämon an.

»Wir werden noch heute auf die Jagd gehen. Wir wissen, dass das Monster am Tage auf der Jagd ist, wir sollten es erwischen, wenn es sich in Sicherheit wähnt.«

Evan schaute in den Himmel. Die Sonne stand am höchsten Punkt. Zu dieser Jahreszeit wurde es aber schnell dunkel. Zu Fuß würden sie bis zum Abend brauchen.

»Ihr wollt also im Dunkeln mit Mistgabeln und Fackeln losmarschieren? – Wieso knüpft ihr euch alle nicht gleich an einem Baum auf?«

»Wir müssen das Monster erschlagen, wenn es am verwundbarsten ist«, schnaubte der Müller und verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust. »Darüber werden wir nicht diskutieren.«

Evan schaute erbost zu Leuven hinüber. Diesem lief es eiskalt den Rücken hinunter.

Der Halbdämon wandte sich wieder an die Dörfler. »Es gibt einfachere Wege, sich das Leben zu nehmen, als solch eine irrsinnige Jagd. Nicht einer von euch ist erprobt im Kampf, schon gar nicht gegen ein unbekanntes Monster. Ihr spielt mit dem Leben aller, aber eure Torheit lähmt euch in euren Gedanken. Nun gut. Ich werde euch begleiten, aber mein Wort ist Gesetz. Wird es zu gefährlich, dann treten wir den schnellen Rückzug an.«

Der Müller nickte zufrieden. »Das werden wir.«

Evan hingegen war ganz und gar nicht zufrieden. Er war hin- und hergerissen, glaubte dem Müller seine Worte nicht.

Letztendlich wusste er aber, dass die Dörfler entschlossen waren, ob er sie begleiten würde oder nicht.

Die Ansammlung auf dem Dorfplatz löste sich auf. Jeder Dorfbewohner machte sich auf den Heimweg.

Einige von ihnen, um alles zusammenzusuchen, was halbwegs als Waffe durchgehen konnte, während die anderen angsterfüllt darauf hofften, dass der Spuk bald ein Ende haben würde.

»Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte Leuven vorsichtig seinen Begleiter.

Beide standen noch eine Weile auf dem Dorfplatz. Einige Zeit schwiegen sie.

»Das ist die schlechteste Wahl, die sie hätten treffen können. Ein paar Bauern, bewaffnet mit Mistgabeln, Messern und Holzknüppeln. Das wird ein böses Ende nehmen«, schnaubte der Halbdämon und machte kehrt.

Er wanderte zu Ida hinüber, die gerade einen großen Schluck Wasser aus einem Trog trank. Evan stieg auf den Kutschbock und verschwand hinter der Plane.

»Und was hast du jetzt vor?«, fragte der junge Kaufmann.

»Na, was wohl?« Evans Stimme drang hallend aus dem Kutschwagen hervor. »Ich bereite mich auf den Abend vor.«

»Und was soll ich machen?«

»Du? – Du wirst im Dorf bleiben. Kümmere dich um unseren Proviant, worum ich dich bereits gebeten habe«, der Halbdämon kam aus der Plane hervor mit seinem Reisesack in der Hand. »Und erzähle nicht überall herum, dass ich irgendein Dämonenjäger sei. Bring uns einfach nicht in Schwierigkeiten.«

»Es war nicht meine Schuld. Wirklich!«, protestierte der junge Kaufmann.

»Natürlich nicht.«

»Niemand hat auf meine Worte gehört«, fuhr Leuven fort. »Sie hatten ihren Entschluss bereits getroffen. Von langer Hand geplant, will ich meinen.«

»Soll nun auch egal sein«, stöhnte der Halbdämon, kontrollierte seine Arm- und Beinschienen und sprang dann vom Kutschwagen hinab.

»Stelle einfach keinen Unfug an«, sagte er schließlich zu seinem Begleiter.

Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, als ein halbes Dutzend Dörfler, angeführt von Evan, das Dorf in Richtung Wald verließen.

Der Müller hatte ausschließlich jüngere Männer für diese Jagd ausgewählt, unter ihnen auch Jakob, der immer wieder nervös hin und her blickte, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

»Habt Ihr schon viele Monster getötet?«, fragte der Müller, als er einen Gang zulegte, um von Evan nicht abgehängt zu werden.

»Einige, ja«, gab dieser wiederum knapp zurück.

»Muss ein aufregendes Leben sein.«

Evan musterte den Müller scharf. »Jetzt hört auf damit. Bereitet Euch lieber auf euren Tod vor, anstatt hier noch Konversationen führen zu wollen.«

»Verzeiht mir. Ich wollte nur wissen, mit wem ich es zu tun habe«, antwortete der Müller kleinlaut.

»Das spielt keine Rolle. Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben. Also wissen wir auch nicht, wann es angreifen könnte.«

Der Müller verstummte, doch das flackernde Licht der Fackeln ließ seine verkniffenen Gesichtszüge erkennen. Ihre Umgebung war von einem gespenstischen Schweigen erfüllt, als sie tiefer in den dunklen Wald eindrangen.

Die Nacht hatte die Szenerie verschlungen, und die Fackeln warfen bedrohliche Schatten auf den Boden. Evan vertraute lieber auf seine dämonischen Sinne als auf die flackernden Flammen, die ihnen ein trügerisches Gefühl von Sicherheit gaben.

»Hört mir zu«, raunte er leise, aber mit schneidender Stimme. »Bleibt dicht beisammen. Und seid vor allem still. Diese Fackeln machen uns so auffällig wie das Morgenrot. Und wenn ich sage, dass ihr verschwinden sollt, dann tut ihr das ohne Widerworte.«

Die Dörfler nickten nervös, doch Evan hatte seine Zweifel, ob sie wirklich verstanden hatten, worauf sie sich eingelassen hatten.

Als sie tiefer in den finsteren Wald vordrangen, veränderte sich die Atmosphäre. Die lebendige Energie des Tages war einem unheimlichen, lauernden Gefühl gewichen. Der Wind raschelte durch die Bäume, als wollte er ihnen zuflüstern, dass sie nicht allein waren.

Ein Gefühl der Anspannung lag in der Luft, und Evans Nackenhaare stellten sich auf. Etwas war da draußen. Etwas, das auf sie wartete.

Dann vernahm er es—ein leises Knacken in den Baumkronen. Für das menschliche Ohr unhörbar, doch für seine dämonischen Sinne wie ein lauter Knall. Er hielt abrupt inne, streckte die Hand aus, und die Truppe verharrte. Nervös schauten die Männer umher, während die Fackeln unruhig flackerten.

Evans Augen begannen, unheilvoll zu glühen. Er versuchte, das Monster zu erspähen, doch es blieb unsichtbar, verborgen im Dunkel der Bäume. Der Wind verstärkte sich, brachte die Blätter zum Tanzen, und dann spürte Evan es—einen schnellen Windstoß, der an ihm vorbeisauste, gefolgt von einem plötzlichen Sturm, der die Nacht wie ein brüllendes Biest durchbrach.

Ein markerschütternder Schrei hallte durch die Finsternis. Eine Fackel erlosch. Panik griff sofort um sich.

»Was zur Hölle war das?« rief einer der Männer atemlos.

»Joos! Es hat Joos erwischt!« krächzte ein anderer in heller Aufregung.

»Verflucht, seid still!« zischte Evan.

Doch es war zu spät. Panik hatte sich bereits in den Herzen der Männer festgesetzt. »Wir sind verloren! Das Monster hat uns gefunden!« schrie ein Mann, während er rückwärts taumelte.

Evan trat vor, seine Augen lodernd, das Schwert gezogen. »Bleibt zusammen, wenn ihr leben wollt.«

Ein Knacken ertönte über ihnen, gefolgt von einem schweren Aufprall, als etwas aus den Baumkronen fiel und mit einem dumpfen Geräusch in einem Haufen Blätter landete.

»Was… was ist das?« fragte einer der Männer mit zitternder Stimme und richtete die Fackel auf das, was vor ihnen lag.

Ein entsetzter Schrei erklang, als sie erkannten, was vor ihnen lag: der abgetrennte Kopf von Joos, sein Gesicht zu einem grotesken Grinsen verzerrt.

Chaos brach aus. Die Männer trampelten kopflos umher, von Angst überwältigt. Evan spürte, wie die Kontrolle über die Situation entglitt. »Bleibt ruhig!« rief er, doch seine Worte gingen im Tumult unter.

Einer der Männer, wahnsinnig vor Angst, setzte zur Flucht an. »Ich bleibe keinen Augenblick länger in diesem verfluchten Wald!« schrie er und rannte los. Andere folgten seinem Beispiel. Die Lichter der Fackeln flackerten und verschwanden im Dunkel des Waldes.

Nur der Müller und Jakob blieben bei Evan, beide bleich und zitternd, aber zu entschlossen, um zu fliehen.

»Was jetzt?« fragte der Müller heiser, seine Augen wanderten nervös durch die Dunkelheit.

»Hoffen wir, dass sie es lebend hinaus schaffen«, murmelte Evan düster. »Für uns gibt es hier nichts mehr zu retten. Wir kehren um.«

»Nein!« zischte der Müller wütend. »Ich werde nicht umkehren. Ich bin hier, um meine Tochter zu retten, und das werde ich tun. Wir gehen weiter.«

Evans dämonische Augen funkelten im schwachen Licht der verbleibenden Fackeln. »Eure Hoffnung ist vergebens. Ihr habt gesehen, was passiert, wenn wir tiefer in den Wald gehen.«

Der Müller knurrte. »Das ist mir egal. Ich werde meine Tochter zurückholen. Ihr habt mir versprochen zu helfen.«

»Und Ihr habt versprochen, auf meine Anweisungen zu hören«, erwiderte Evan kalt.

Die Spannung zwischen den beiden Männern war greifbar, als Jakob schließlich das Wort ergriff. »Streiten bringt uns nicht weiter. Wir sollten lieber einen kühlen Kopf bewahren.«

Der Müller schnaubte. »Hättest du Emilia begleitet, wäre sie nicht verschwunden! Du hast versagt.«

Jakobs Gesicht erbleichte. »Ich… ich konnte doch nicht ahnen…«

»Das ist kein Argument«, knurrte der Müller. »Aber eins sage ich dir: Wenn wir Emilia zurückholen, ist die Hochzeit abgesagt. Du bist es nicht wert.«

Evan rollte innerlich die Augen. »Ihr könnt eure Hochzeitspläne auf Eis legen – wenn wir lebend hier rauskommen.«

Just in diesem Moment drang ein weiterer Schrei aus der Ferne durch den Wald.

Der Schrei kam von Osten, wenige hundert Meter von ihnen entfernt.

»Egal, was es ist. Ob ein riesiger Vogel oder sonst irgendetwas. Wenn wir hier verweilen, dann wird es uns wie den anderen ergehen«, sagte der Halbdämon eindringlich. »Einer nach dem anderen wird geschnappt. Wir sind hier nicht die Jäger. Wir sind die Mäuse auf offenem Feld.«

Jakob nickte zustimmend. »Ihr habt recht. Wir sollten…«

»Einen Scheiß!«, brüllte der Müller auf. »Keine Ehre steckt in euch beiden.«

»Das hat mit Ehre nichts zu tun«, sagte Evan. »Glaubt mir, ich habe schon die unterschiedlichsten Wesen gesehen. Geister, grässliche Kreaturen. Wir werden es aufspüren und zur Strecke bringen, aber nicht heute, nicht jetzt.«

»Sinnloses Gelaber!« Der Müller streckte die Fackel aus und marschierte weiter.

»Aber Albert, wir sollten…«, stammelte Jakob und blickte dem Müller entrüstet hinterher.

»Lass ihn«, Evans Stimme war kalt. »Ich bin schon genug lebensmüden Personen begegnet. Haben sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt, dann lassen sie sich nur schwer davon abbringen.«

»Aber wir können ihn doch nicht einfach in den Tod laufen lassen!«, protestierte der junge Mann und gestikulierte dabei wild mit den Armen.

»Nein.« Der Halbdämon seufzte. »Ich werde ihm folgen, aber du solltest zurück ins Dorf gehen. Bleib auf dem Weg und versuche, so leise wie möglich zu sein.«

»Ihr wollt mich doch nicht allein durch den Wald gehen lassen?«

»Du hast noch die Wahl, Albert zu folgen und Emilia zu retten.«

Jakob war die Anspannung ins Gesicht geschrieben. »Glaubt Ihr, dass sie noch lebt?«

Evan dachte kurz nach. Sie waren nur kurz im Wald, und sie waren die Letzten ihrer Gruppe. Er glaubte nicht wirklich daran, aber ließ es sich nicht anmerken. »Wer weiß.«

»Ich, ich möchte es gerne glauben«, gab Jakob stotternd zurück. »Das würde alles leichter machen.«

»Inwiefern?«

Jakob schrak auf. »Ich meinte, dann könnten wir sie in Sicherheit bringen, zurück nach Hause.«

»Das wäre zumindest der Plan.« Evan ging voraus. »Es ist deine Wahl. Geh oder komm mit, aber verhalte dich ruhig.«

Jakob war sichtlich unwohl. Er blickte wild in jede Richtung, biss sich auf die Lippe und folgte schließlich dem Halbdämon.

»Wir sollten Albert einholen, ehe wir ihn auch noch verlieren«, sprach Evan mit ernstem Blick.

Sie wanderten tiefer in den Wald hinein, Augen und Ohren auf ihre Umgebung gerichtet.

Bei jedem ungewöhnlichen Geräusch erhob Evan seinen Kopf, hielt Jakob an, achtsam zu sein.

Der Halbdämon konnte nur erahnen, in welche Richtung der Müller gegangen war.

Er hielt inne.

Jakob stieß dabei fast gegen ihn, wankte, konnte sich aber noch auf den Beinen halten. Seine Fackel flammte bedrohlich auf.

»Vorsicht. Oder willst du den ganzen Wald in Brand setzen?«, fragte Evan finster.

Sie gingen weiter, über Stock und Stein, über morsche Baumstämme und moosbewachsene Hügel, ehe sie eine kleine Lichtung erreichten.

Laute Schreie und kräftiges Gebrüll waren zu vernehmen.

Evans Sinne waren geschärft, rasch bewegte er sich auf die Lichtung zu und erkannte, wie Albert angestrengt mit seiner Fackel umherfuchtelte.

Lange, federbesetzte Flügel und spitze, tödliche Klauen offenbarten sich.

Wie ein Kriegsschrei ertönte Alberts Gebrüll im Wald. Mit seiner Fackel und seiner Axt schlug er nach dem Monster, das immer wieder versuchte, mit seinen Klauen nach ihm zu greifen.

Geschwind schritt Evan dem Müller zur Hilfe, zog rasch sein Schwert aus der Scheide, versuchte nach der Bestie zu schlagen, doch er verfehlte sie.

Mit einem schrillen Schrei stieg das Monster in die Lüfte und verschwand zwischen den dichten Baumkronen.

»Verflucht noch eins, was ist das?«, fragte Albert nach Atemluft schnappend. »Ich habe es gesehen, ich habe es gesehen.«

»Was meint Ihr?«, fragte Evan und blickte konzentriert umher, bedacht darauf, dass das Monster zurückkehren könnte.

»Es war ein Vogel, aber auch ein Mensch, ein Vogelmensch. Ich bin mir sicher, ich irre mich nicht!«, prustete der Müller und wirkte äußerst aufgebracht. »Dieses Gesicht, es kam mir so vertraut vor.«

Evan schaute angestrengt zu Albert hinüber. »Seid Ihr euch sicher?«

»Jawohl. So wie ich es euch doch sage!«, sprach Albert.

»Dann weiß ich, womit wir es zu tun haben«, gab Evan ernst zurück. »Es kann nur eine Harpyie sein.«

In diesem Moment schrie Jakob auf.

Erschrocken blickten Evan und Albert zu ihm hinüber und mussten mit ansehen, wie sich die spitzen Krallen des Monsters in die Schulter des jungen Mannes bohrten und ihn langsam in die Luft hoben.

»Helft mir, so helft mir doch!«, rief Jakob ihnen entgegen.

Er wandte sich umher, wie ein Fisch, der auf dem Trockenen lag.

Es mussten unerträgliche Schmerzen sein, die seinen Körper durchzogen, während die Bestie ihn immer weiter hinaufhob.

Evan sprintete auf das Monster zu, doch es war bereits zu weit entfernt.

Mit einem lauten Getöse flog es über Evans und Alberts Köpfe hinweg in den Wald. Die schmerzlichen Schreie des jungen Mannes hallten hinterher.

»Verflucht noch eins, wir müssen sofort hinterher!«, polterte der Müller und war bereits im Begriff, der Harpyie zu folgen, ehe er bemerkte, dass der Halbdämon sich nicht bewegte. »Was habt ihr? – Schnell, wir müssen schnell sein.«

»Seid kein Narr«, schnaubte Evan. »Wenn wir ihr folgen, dann wird es uns ebenfalls so ergehen.«

»Aber«, stammelte Albert aufgelöst, »wir müssen ihn doch retten, Emilia retten.«

»Wir haben es hier mit einer Harpyie zu tun. Ein mächtiger Fluch ist hier am Werk. Es wäre töricht, weiter unbedacht zu agieren. Außerdem gabt ihr mir euer Wort, dass ihr meinen Befehlen Folge leisten werdet«, gab der Halbdämon fordernd zurück.

Der Müller schüttelte sich, bäumte sich auf. »Wenn ihr nicht die Eier dazu habt, dann verschwindet. Aber ich werde ihnen folgen.«

Selbstbewusst und voller Wut rannte Albert drauflos, ohne zu wissen, ob es nicht sein Leben kosten könnte.

»Bleibt stehen!«, brüllte der Halbdämon ihm hinterher. Doch er hörte nicht und verschwand im dunklen Dickicht, nur ein heller Leuchtkegel, der von Alberts Fackel herrührte, war noch zu sehen.

Der Halbdämon war hin und hergerissen. Sollte er zurück in das Dorf gehen und einen Plan ausarbeiten oder Hals über Kopf dem armen Trottel folgen?

Er hasste sich selbst dafür, aber er wollte den Müller nicht allein in sein Verderben rennen lassen und folgte ihm knurrend.

Der Wald war dicht, und eine unheimliche Aura umgab ihn.

Trotz seiner verbesserten Sinne konnte der Halbdämon kaum etwas im Dickicht erkennen.

Doch ein penetranter Geruch stieg ihm in die Nase und kurze Zeit später ein hitziger Schwall.

Evan war sofort alarmiert. Er preschte sich durch die dicken Äste, die ihm im Weg waren, und erreichte schlussendlich eine weitere Lichtung, zumindest nahm er dies an.

Um ihn herum züngelten plötzlich meterhohe Flammen. Sofort fühlte er sich zurückversetzt an den Moment, als er in der Kathedrale von Rabensberg stand und sich gegen den tödlichen Eldári wehren musste.

»Scheiße!«, fluchte er. »Nicht schon wieder.«

In der Mitte der lodernden Feuersbrunst schlug Albert wild mit seiner Axt nach der Harpyie. »Du Mistvieh, wo ist meine Tochter!«

Evan kam ihm zur Hilfe. Zumindest versuchte er es.

Immer wieder streckte die Bestie ihre langen Klauen nach den beiden aus und erhob sich wieder in die Luft, wenn Evan und Albert mit ihren Waffen nach ihr schlugen.

»Das bringt so nichts!«, rief der Halbdämon aus. »Was hast du hier überhaupt angestellt?«

Angestrengt blickte Albert zu ihm hinüber. »Was meinst du? – Das war ich nicht. Jakob muss seine Fackel fallen gelassen haben, als dieses Monster ihn fortgeschleppt hat.«

In der Tat. Von Jakob war weder etwas zu hören noch zu sehen. Das ließ für Evan nur den Schluss zu, dass sich das Nest der Harpyie nicht weit entfernt befinden konnte.

»Lass uns gehen!«, brüllte er dem Müller entgegen. »Wir wissen jetzt, womit wir es zu tun haben.«

Albert aber hörte nicht auf seine Worte. Fest nahm er den Griff seiner Axt in die Hand, holte aus und versuchte, das Monster zu erwischen.

Kreischend streckte sie ihm ihre Klauen entgegen, packte seinen Körper und hob nun auch ihn in die Luft.

»Nein, lass mich runter!«, brüllte Albert, als er unter seinen Füßen keinen Grund mehr spürte.

Verzweifelt wandte er sich zwischen den Klauen hin und her, doch je mehr er sich wehrte, desto fester wurde der Griff der Bestie.

Evan versuchte noch, ihn zu erreichen, doch die Harpyie stieg kreischend in den Himmel hinauf und verschwand mit Albert in der Finsternis.

Die letzten Hilferufe hallten gen Boden.

»Dummer Narr«, knirschte der Halbdämon zwischen zusammengebissenen Zähnen. Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurde ihm klar, dass die Gefahr noch längst nicht vorüber war.

Um ihn herum loderten die Flammen wie lebendige Bestien, die ihn gnadenlos einkesselten.

Ein Entkommen schien unmöglich. Der glühende Ring zog sich immer enger zusammen, als wollte das Feuer ihn verschlingen.

Evan blickte angestrengt umher, seine scharfen Augen suchten fieberhaft nach einem Ausweg. Doch es war vergebens. Das Feuer umzingelte ihn mit einer tödlichen Beharrlichkeit.

Die Hitze war erdrückend, fast überwältigend. Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht. Er fiel auf die Knie, die Verzweiflung nagte an ihm, als er spürte, wie ihm die Zeit davonlief.

Da, wie aus dem Nichts, strich plötzlich ein zarter Windhauch über seine erhitzte Wange.

Es war, als würde die Natur selbst ihn berühren, nur um im nächsten Moment in einen wilden, unbändigen Sturm zu eskalieren.

Der Wind fegte durch die Flammen und brachte sie zum Tanzen, als wären sie die zischenden Schwänze wütender Schlangen, die zum Angriff ansetzten.

Mit einem lauten Fauchen öffnete sich inmitten des tobenden Feuers ein Durchgang.

Die lodernden Flammen wichen zurück, gezwungen von der gewaltigen Kraft des Sturms, und formten eine brennende Schneise, die immer weiter wuchs.

In dem brodelnden Inferno zeichnete sich plötzlich eine schwarze Silhouette ab. Dahinter trat eine zweite Gestalt aus den wirbelnden Flammen hervor.

Evan erkannte das blaue Funkeln, das plötzlich aufblitzte.

Die sanfte Stimme einer Frau erklang und die Umgebung wurde in ein hellblaues Licht getaucht.

Es blendete den Halbdämon.

Das Licht wurde schwächer und er erkannte allmählich die Umrisse einer Person vor sich.

»Evan!«, erklang die erfreute Stimme von Leuven in seinen Ohren.

Der junge Kaufmann half ihm auf die Beine.

»Ich muss zugeben«, sagte der Halbdämon und ließ ein leichtes Grinsen über sein Gesicht zucken, »ich bin ausnahmsweise froh, dass du nicht auf mich gehört hast.«

Die sanfte Stimme der Frau erklang abermals. Es war die Stimme der Zauberin aus dem Dorf. Sie wandelte sich in eine boshafte Brandrede. »Das war töricht! – Nein, absolut dumm von euch. Von den Männern aus dem Dorf habe ich nichts anderes erwartet, aber wenigstens ihr hättet es besser wissen müssen.«

Sie stemmte die Fäuste gegen ihre Hüfte. »Was habt ihr erwartet, was passieren würde?«

Evan schaute sie trocken an, als er sich den Ruß von seiner Rüstung klopfte. »Ich konnte die Männer nicht allein gehen lassen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass uns hier draußen eine Harpyie erwartet.«

Erschrocken riss die Zauberin ihre Augen auf. »Eine Harpyie?«

Nachdenklich legte sie einen Finger an ihr Kinn. Ihre Stimmung hatte sich komplett verändert und der Zorn verschwand aus ihrem Gesicht. »Eine Harpyie. Ich hatte bereits den Verdacht, aber um einen Menschen in eine Harpyie zu verwandeln, bedarf es tiefer Kenntnisse in dunkler Magie. Deswegen hatte ich es ausgeschlossen. Warum auch sollte sich ein dunkler Zauberer in diese Wälder verirren?«

»Vielleicht eine Hexe?«, fragte Evan stoisch.

»Nein«, entgegnete die junge Frau. »Das wäre mir aufgefallen. Außerdem müsste es einen Grund dafür geben, warum man einem Menschen so etwas antut.«

»Moment«, Leuven mischte sich ein. »Sprechen wir hier über eine waschechte Harpyie? – Lange Flügel, Körper eines Menschen, Harpyie, wusch wusch?«

Er machte eine komische Armbewegung, als würde er sie als Flügel einsetzen wollen.

Evan schüttelte den Kopf. »Überrascht es dich wirklich so sehr? – Wir sind einem Hintz begegnet, wir sind Eldári begegnet.«

»Ihr seid was?«, fragte die Zauberin erstaunt. »Ihr seid wirklich Eldári begegnet? – Ich hätte niemals gedacht, dass sie sich in diesen Landen jemals wieder zeigen würden.«

Stolz hob Leuven seinen Zeigefinger. »So ist es aber. Hast du vom Brand der Kathedrale in Rabensberg gehört?«

Die junge Frau schaute ihn fragend an.

Ehe Leuven weiterreden konnte, schnitt Evan ihm das Wort ab. »Genug davon. Wir haben keine Zeit für Geschichten.« Er richtete seinen Blick auf die Zauberin und fuhr fort. »Deine Kräfte sind beeindruckend, ich wusste doch, dass du mehr kannst, als nur Kleider nähen.«

Die Zauberin, gerade noch von Leuven und dem Gespräch abgelenkt, sah überrascht zu Evan. Ihre Augen weiteten sich leicht, als ihr bewusst wurde, was er sagte. »Ich hatte selbst nicht mehr daran geglaubt«, gab sie leise zurück.

Evan nickte. »Verschwende deine Fähigkeiten nicht.«

Er klopfte sich den letzten Ruß von der Schulter und schenkte ihr einen kurzen, ernsten Blick.

Für einen Moment schien Leana sprachlos. Dann, ganz langsam, huschte ein kleines, aber aufrichtiges Lächeln über ihr Gesicht. »Danke«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme war ruhig und voller neuer Erkenntnis. »Ich glaube, du hast recht. Vielleicht war ich doch zu verbohrt. Aber wären wir nur einige Zeit später eingetroffen, dann hätte sich das Feuer mit Sicherheit weiter ausgebreitet.«

»Wieso habt ihr euch eigentlich dazu entschlossen, mir doch zu folgen?«, fragte der Halbdämon.

»Nun, euer Freund hier bat mich um Hilfe. Ich habe ihm das Gleiche gesagt wie auch Euch, aber er war deutlich hartnäckiger und, das muss ich betonen, weinerlicher«, gab sie zurück.

Kurz lachte Evan auf. »Ja, das drückt es perfekt aus.«

Leuven aber gefiel das ganz und gar nicht. Er streckte seinen Rücken und zog sein Gesicht in Falten. »Das ist überhaupt nicht wahr«, spuckte er giftig.

»Übrigens«, die junge Frau setzte ein Lächeln auf, »ihr könnt mich Leana nennen.«

Der Halbdämon nahm ihre Worte mit einem Nicken zur Kenntnis.

»Schön, dass wir uns jetzt alle vorgestellt haben«, prustete Leuven und wirkte aufgeregt. »Aber wir sollten nicht vergessen, dass hier immer noch eine Harpyie auf uns lauert. Also sollten wir uns sputen.«

»Du brauchst dich nicht zu fürchten. Sie wird uns nichts antun«, gab Evan trocken zurück.

»Was, wieso?«, fragte Leuven. Die Fragezeichen standen ihm ins Gesicht geschrieben.

Ernst blickten der Halbdämon und die Zauberin in den finsteren Himmel hinauf. Dann sprach Leana mit erklärender Stimme. »Sie hat, was sie will. Wir sind für sie uninteressant.«

»Sie hat, was, wer, wo?« Der junge Kaufmann wirkte komplett durcheinander, schaffte es nicht einmal, vollständige Sätze zu bilden.

»Leana hat Recht«, stimmte Evan der jungen Frau zu. »Die Harpyie hatte überhaupt kein Interesse an mir, allerdings an Albert und Jakob. Das heißt, dass sie als Mensch eine enge Verbindung zu beiden hatte. Das wiederum heißt…«

Leana nahm ihm das Wort ab. »Das heißt, dass es sich aller Voraussicht nach um Emilia handelt.«

Sie blickte den Halbdämon frech an.

»Emilia?«, Leuven verzog das Gesicht. »Ah, die Tochter des Müllers und Verlobte von diesem Jakob.«

»Richtig«, meinte Evan. »Wir müssen nur herausfinden, was geschehen ist.«

»Wir sollten allerdings vorerst ins Dorf. Bei Nacht werden wir keine Lösung finden. Ich könnte in meinen Büchern nachschauen, wie wir den Fluch von einer Harpyie nehmen können.«

Leuven und Evan stimmten zu.

Sie bewegten sich eine Weile durch den düsteren Wald, dessen Bäume wie Wächter in der Nacht standen, bis sie schließlich die Hauptstraße erreichten.

Dort wartete Ida bereits auf sie, ihre Gestalt in der Finsternis nur schwer erkennbar.

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