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Kapitel 3: Die Schneiderin

Beschreibung: Evan und Leuven haben Ravensberg verlassen und setzen ihre Reise gen Norden fort. Ihr Weg führt sie durch ein Waldstück, das anfangs noch ruhig erscheint, doch plötzlich passiert etwas unerwartetes: Ein Mann fällt vom Himmel!

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 | Teil 5


Teil 2

Das Dorf Garven lag direkt an einer Flussmündung am Rande des Waldes.

Ein ruhiger Ort. Das Bild war geprägt von etlichen Holzhütten mit bedeckten Strohdächern.

Ziegen, Schafe und Rinder grasten am Flussbett und reckten ihre Köpfe hoch, als der Planwagen über eine kleine Brücke, die über einen Bach führte, polterte.

Das Dorf, so ruhig und beschaulich es auch war, war zudem auch noch menschenleer.

»Wo sind denn alle?«, fragte Leuven irritiert, als er mit einem Ruck an den Zügeln Ida und somit den gesamten Karren zum Halt brachte.

Misstrauisch blickte der Halbdämon umher und sprang vom Kutschbock hinunter.

Die Türen und Fensterluken der Häuser waren geschlossen. Niemand war auf den verzweigten Wegen unterwegs.

»Als wäre die Nacht bereits angebrochen«, merkte Leuven an, der Evan auf Schritt und Tritt folgte und sich umschaute.

»Ja, irgendwie schon«, murmelte Evan, »irgendetwas stimmt doch nicht.«

Wie aus dem Nichts erklang plötzlich die Stimme eines Mannes. Rau und harsch klang sie. »Verschwindet von hier!«

Zuerst konnte der Halbdämon nicht genau orten, woher die Stimme erklang, dann erspähte er eine schemenhafte Person, die durch zwei Fensterluken spähte.

Evan ging einen Schritt näher darauf zu. »Ihr braucht euch vor uns nicht zu fürchten«, sprach er.

»Vor euch fürchten wir uns auch nicht«, entgegnete die Stimme hinter der Fensterluke. »Dort draußen lauert das Böse. Verschwindet oder es wird euch wie den anderen ergehen!«

»Den anderen?«, fragte Evan.

»Dieses Biest nimmt sich jeden. Unseren Jäger hat sie schon, auch einige tapfere junge Männer, die es erlegen wollten, mussten dran glauben. Seit Wochen schon traut sich kein Kaufmann mehr in diese Gegend.«

Evan drehte sich herum und blickte zu den Tieren hinüber, die am Flussbett grasten.

»Euren Tieren scheint es nichts anzuhaben«, sagte er schließlich.

»Nein, nein«, stammelte der Mann, »nur nach Menschenblut dürstet es. Nun geht, bevor es euch auch erwischt.«

»Um was für eine Bestie handelt es sich denn?«

»Geht!«

Evan machte auf dem Absatz kehrt.

»Warte, du willst gehen?«, fragte Leuven und folgte dem Halbdämon zurück zum Karren.

»Willst du ihnen denn nicht helfen?«, fügte er an.

»Wir sind hier unerwünscht. Du hast es doch gehört.« Evan blickte seinen Begleiter ernst an. »Natürlich werden wir nicht einfach gehen, aber ich muss herausfinden, womit wir es hier zu tun haben.«

»So kenne ich dich«, ließ Leuven verlauten. »Du kämpfst gegen das Monster und ich warte bei Ida. So machen wir das!«

»Du wirst ebenfalls etwas beitragen. Du wirst mir helfen, herauszufinden, womit wir es zu tun haben.«

»Wie soll ich das denn anstellen? Niemand hier will mit uns reden.«

»Es gibt mit Sicherheit jemanden. Die Menschen haben Angst. Sie brauchen jemanden, der ihnen hilft.«

Evan spitzte die Ohren. Etwas bewegte sich in der Gasse hinter ihm.

Als er sich herumdrehte, bemerkte er eine alte Dame, die sich auf die beiden zubewegte.

Sie war klein und schon in einem sehr hohen Alter. Sie ging gebückt, und jeder Schritt schien ihre morschen Knochen sehr zu belasten.

Mit kratzender Stimme sprach sie zu dem Halbdämon: »Ihr seid gekommen, um uns zu helfen?«

»Eigentlich handelt es sich um einen Zufall, dass wir euer Dorf passieren.« Der Halbdämon musterte die alte Dame.

»Aber mein Freund hier«, mischte sich Leuven ein und setzte ein breites Grinsen auf, »er ist der beste Dämonenjäger im gesamten Königreich. Nein, nein, in allen Königreichen, das verspreche ich euch. Ich habe gesehen, wie er mit einem bösen Dämon kurzen Prozess gemacht hat.«

»Leuven, halt den Rand«, warf Evan kurz ein und wandte sich wieder an die alte Dame. »Die Bestie, die im Wald ihr Unwesen treibt. Erzählt mir alles, was ihr wisst.«

Die alte Dame schaute nervös nach links und dann rechts. Mit gesenkter Stimme antwortete sie dem Halbdämon: »Viel kann ich euch nicht darüber erzählen.«

Sie hustete auf. »Ich kann euch nur sagen, dass es vor etwa einem Monat begann. Dort verschwand die junge Tochter des Müllers. Danach schaffte es kaum ein Reisender mehr in dieses Dorf. Schnell hat sich die Geschichte über das Monster im Wald herumgesprochen.«

»Das ist nicht viel«, gab Evan nachdenklich zurück. »Mehr wisst ihr nicht?«

»Ich bin nur eine alte Frau«, meinte sie. »Mich kümmert es nicht mehr. Aber wenn ihr mehr herausfinden wollt, dann…«

Die alte Dame kam einen Schritt näher und begann zu flüstern. »Sprecht mit der Schneiderin. Sie kann euch helfen.«

»Mit der Schneiderin?«

»Ja, sie kann euch sicher helfen. Aber bitte tut mir, der alten Dame, einen Gefallen. Behandelt sie gut. Sie ist solch ein nettes und liebes Mädchen.«

Der Halbdämon hob irritiert eine Braue. »Weshalb sollte ich sie schlecht behandeln?«

Wieder blickte die alte Dame nervös nach links und nach rechts. »Das kann ich euch nicht sagen. Tut mir aber diesen Gefallen.«

»Nun denn, ich werde mein Bestes tun«, sagte Evan.

»Ich danke euch«, die alte Dame prustete und hustete. »Ihr Geschäft befindet sich direkt gegenüber vom Hufschmied.«

Der Halbdämon nickte dankend, als die Dame wieder in der Gasse verschwand.

»Welch seltsame alte Schachtel«, meinte Leuven und kratzte sich am strubbeligen Kopf.

»In der Tat.« Der Halbdämon legte einen Finger an sein Kinn und dachte nach. »Wie soll uns eine Schneiderin helfen?«

»Vielleicht hat sie ja schöne Kleider im Angebot. Auch Monster wollen sich schick kleiden.«

Leuvens Oberarm schmerzte. Der Schlag des Halbdämons war fest und präzise.

»Arbeite an deinen Aggressionen!«, schimpfte er und rieb sich die schmerzende Stelle.

»Dann nimm das ganze gefälligst ernst.«

»Das tue ich. Aber du musst nicht immer gleich den Dämon aus dir raushängen lassen. Mahnende Worte reichen auch.«

»Bei dir mitnichten!«

Leuven stöhnte laut auf. »Und nun, was wollen wir als Nächstes tun?«

»Ich werde dieser Schneiderin einen Besuch abstatten.«

»In Ordnung, suchen wir diese Schneiderin.«

Der Halbdämon schaute seinen Begleiter kopfschüttelnd an. »Nicht wir, nur ich. Du wirst versuchen, andere Dorfbewohner zum Reden zu bewegen. Außerdem haben wir kaum noch Proviant. Versuche, etwas zu besorgen.«

»O, ich darf mal wieder die Drecksarbeit erledigen«, schnaubte Leuven. »Du stattest einer Schneiderin einen Besuch ab, und ich darf diese armen Dorfbewohner um ihre letzten Vorräte erleichtern. Das ist ja ein wirklich toller Plan.«

Evan zog die Stirn kraus. »Versuch es mit weniger Sarkasmus und frage nett. Außerdem könnte die Schneiderin auch eine Sackgasse sein. Vielleicht findest du mehr heraus. Wenn sie erst einmal erkannt haben, dass ich ein Halbdämon bin, dann halten sie noch mich für das Monster. Also hör auf, dich zu beschweren.«

Leuven überlegte. In der Tat hatte Evan recht. Die Dorfbewohner waren verängstigt, da würde die Ankunft eines Halbdämons nur noch für mehr Unruhe sorgen.

»Nun gut«, sagte er schließlich. »Wir treffen uns dann wieder hier am Wagen.«

Der Halbdämon nickte. »Und Leuven, tu mir einen Gefallen, stelle keine Dummheiten an.«

Abwehrend hielt dieser seine Hände vor sich. »Wo denkst du denn hin?«

Misstrauisch blickte der Halbdämon zu ihm herüber und trat dann mit einem kräftigen Seufzer davon.

Nachdem er in der nächsten Straße verschwunden war, blickte der junge Kaufmann ihm noch kurz hinterher, ehe er in die Mitte des tot wirkenden Dorfes schritt.

Leuven schaute sich nervös um. Die Straßen waren still und leer, und nicht einmal das leiseste Geräusch drang durch die schmalen Spalten der Fensterläden. Die Stille war erdrückend.

Er drehte sich noch einmal hastig um, als hätte er erwartet, dass Evan plötzlich hinter ihm auftauchen würde. Doch niemand war da. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn, und er atmete tief durch.

»Eure Schreckenstage sind vorüber!«, rief er schließlich mit erhobener Stimme, bemüht, seine Unsicherheit zu verbergen. »Hilfe ist auf dem Weg! Ihr habt auf die Dämonenjäger gehofft, und heute ist euer Glückstag! Der beste Dämonenjäger hat euer Dorf erreicht!«

Die Worte hallten durch die stillen Gassen. Keine Antwort. Nur der leichte Wind, der durch die Straßen wehte und das Stroh auf den Dächern sanft rascheln ließ, war zu hören.

Leuven fühlte, wie sich die Unsicherheit in ihm breitmachte. Das war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. Er kratzte sich am Kopf, während er die leeren Fenster und Türen musterte. Hatte er einen Fehler gemacht?

Plötzlich durchbrach eine zögerliche Stimme die Stille. »Ist das… wahr?«

Eine weitere, kaum hörbare Stimme folgte. »Sind die Dämonenjäger endlich gekommen?«

Langsam öffneten sich die ersten Fensterläden, und vereinzelte Gesichter erschienen in den Schatten dahinter, unsicher, aber voller Hoffnung.

Fast diabolisch blickte Leuven drein, als er erkannte, dass er die Dorfbewohner aus ihren Verstecken locken konnte und vielleicht so Evan beweisen konnte, dass er doch nicht so unnütz sei, wie dieser dachte.

Kurz hielt Evan inne, als er vor der Tür eines kleinen Häuschens stand. Er vernahm ein Brüllen aus der Ferne.

Es war Leuvens Stimme, das erkannten seine scharfen Ohren, doch die Worte konnte er nicht verstehen.

»Ich hoffe, dass er keinen Unfug anstellt«, dachte sich der Halbdämon und blickte schließlich umher.

Nur ein kleines Schild mit der Aufschrift »Kleider, Stiefel und Stoffwerk«, das an die Hauswand gelehnt war, wies darauf hin, dass hier die Schneiderin ihrem Handwerk nachging.

Vorsichtig öffnete er die Tür.

Das Häuschen wirkte nicht wie ein Geschäft, eher wie das Zuhause einfacher Dörfler.

Doch die am Türrahmen befestigte Klingel, die sofort zu läuten begann, als Evan die Tür aufschob, überzeugte ihn.

Es war dunkel in dem Raum. Die Fensterluken waren verschlossen, nicht eine einzige Kerze war entzündet. Nur aus einem hinteren Zimmer schien Licht.

Der Halbdämon schaute sich um.

Überall hingen farbenfrohe Kleider an den Wänden oder zierten lebensgroße Puppen aus Kartoffelsäcken, die mit Stroh befüllt waren.

Es kam ihm unheimlich vor. Auch wenn er keine Angst verspürte, so überkam ihn ein seltsames Gefühl.

Vorsicht war geboten, das redete er sich nicht nur ein, das sagte ihm sein ganzer Körper.

Die liebreizende Stimme einer jungen Dame drang aus dem Hinterzimmer. »Das Geschäft ist geschlossen.«

Evan wagte es dennoch, der Stimme zu folgen.

Das grelle Licht blendete ihn, als er das Hinterzimmer betrat.

»Habt Ihr nicht gehört? – Das Geschäft ist geschlossen«, wiederholte die liebreizende Stimme.

Evan erspähte eine junge Frau mit strohblonden Haaren, tiefblauen Augen und samtiger, fast glitzernder Haut.

»Verzeiht mir, ich wollte euch nicht stören«, sagte der Halbdämon und schaute in dem hell erleuchteten Zimmer umher.

Nadeln und Garn flogen filigran durch die Luft, verbanden grünen und beigen Stoff, während eine Schere im Licht aufblitzte und an ihm vorbei sauste, um die Stoffe in Form zu schneiden.

Die junge Frau kniff die Augen zusammen. »Ihr seht nicht so aus, als wärt Ihr auf der Suche nach neuen Kleidern.« Ein rauer Ton schwang in ihrer Stimme mit.

Doch Evan war geblendet. Weniger vom Licht, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte, vielmehr von den verschiedenen Objekten, die im Raum von links nach rechts sausten. Jedes mit einem bestimmten Ziel.

Dann wandte er sich der jungen Frau zu, die in einem blau-weißen Kleid auf einem Hocker saß. Vor sich, auf einem langen Tisch, lagen die verschiedensten Schnittmuster ausgebreitet.

»Schneiderin«, betonte er süffisant, schon fast spöttisch. »Wohl eher eine Zauberin. Was treibt euch in solch ein kleines Dörfchen im Nirgendwo?«

»Das geht euch wohl kaum etwas an«, antwortete sie und schaute Evan dabei finster an. »Ein Halbdämon sollte wohl kaum solche Fragen stellen. Da seid Ihr überrascht, wie? – Mich könnt ihr nicht täuschen. Ich erkenne, was Ihr seid, auch wenn ich Mitleid verspüre.«

»Mitleid?«, Evan war überrascht; Mitleid war das Letzte, das er erwartet hatte. »Mich braucht ihr nicht bemitleiden. Aber dennoch frage ich mich, was eine Zauberin in solch ein verschlagenes Dorf führt und vor allem, weshalb sie sich den Beruf der Schneiderin ausgesucht hat. Hier wäre vielleicht eher Mitleid angebracht.«

»Der Ruf meines Schneiderhandwerks ist weit verbreitet. Edle Herrschaften kommen her, um sich von mir Kleider, Wämse und gar schicke Schuhe herstellen zu lassen. Damit lässt sich gutes Geld verdienen. Ich hoffe, das reicht Euch als Antwort. Mehr Antworten werdet ihr nicht erhalten«, gab die Schneiderin mit einem Schnauben zurück.

Evan beobachtete, wie sich aus Stoffen, Nadeln und Faden eine edle Hose an der Decke spann. Dann schaute er ernst zu der jungen Dame. »Wie mir scheint, hat euer Geschäft etwas gelitten, seitdem eine Bestie diese Gegend unsicher macht.«

»Nur kurzzeitig. Monster kommen und gehen, nur selten bleiben sie an einem Ort.«

»Ist das so? – Ihr scheint euch gut mit ihnen auszukennen, aber unternommen habt ihr nichts.«

Finster blickte die Schneiderin drein. »Was sollte ich auch ausrichten? – Ich nähe und stricke. Ich bin keine Monsterjägerin.«

Nun verstand Evan, weshalb die alte Dame ihn darum bat, der jungen Frau nett zu begegnen. »Niemand weiß über Eure Kräfte. Ihr versteckt euch, Ihr gaukelt den Dörflern etwas vor. Dabei könntet Ihr ihnen helfen.«

»Ist das so?«, fragte die junge Frau. »Und wie sollte ich das anstellen?«

»Ihr habt durchaus die Fähigkeiten, herauszufinden, was dieses Dorf heimsucht. Es sei denn… es sei denn, eure Fähigkeiten beschränken sich tatsächlich auf das Schneidern. Vielleicht habt Ihr eure Talente ja nie gefördert. Schade, aber sei es drum.«

Der Halbdämon schaute sich verblüfft in dem Raum umher, ehe eine spitze Schere auf sein Gesicht zuraste und kurz vor seiner Nasenspitze Halt machte.

Der Halbdämon blieb locker. Er wusste, dass er nicht um sein Leben fürchten musste. »Beeindruckend. Ihr könnt also doch mit euren Fähigkeiten umgehen. Ich nehme an, Ihr wart auf der Akademie. Jetzt aber verschwendet Ihr euer Talent?«

»Ich sagte bereits, mehr Antworten werde ich Euch nicht geben.«

»Ich verstehe.«

»Und dennoch stellt Ihr weitere Fragen. Aber jetzt bin ich dran. Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« Die Stimme der Zauberin wurde harsch und fast fauchend.

»Gut, dann fange ich an. Mein Name ist Evan Dhorne. Tatsächlich bin ich eher zufällig in dieses Dorf gelangt. Wobei das nicht so ganz stimmt. Es fiel ein Mann vom Himmel. Dem wollte ich auf den Grund gehen.«

»Es fiel ein Mann vom Himmel?«

»Jawohl. Sehr ungewöhnlich, nicht wahr? – Übrigens, dürfte ich mich hinsetzen?«, fragte Evan und zeigte auf einen freien Hocker an dem Tisch.

Noch immer schwebte die Schere bedrohlich vor seiner Nase.

»Ihr dürft stehen bleiben«, gab die Zauberin herrisch zurück, wedelte mit ihrer linken Hand, und geschwind sauste die Schere davon.

Evan kam nicht umhin, zu beobachten, wie ein silberner Ring an der linken Hand der jungen Frau dabei begann aufzuleuchten.

»Ihr müsst wirklich Talent haben, wenn ein Ring euch als Katalysator dient.«

Ertappt, ja beinahe erschrocken, blickte die Zauberin auf ihren silbernen Ring mit dem blauen Saphir.

»Ihr scheint viel Wissen über die Zaubererkaste zu haben«, sagte sie misstrauisch. »Ungewöhnlich.«

Ein breites Grinsen erschien in Evans Gesicht. »Ich kannte mal einen Zauberer, der nutzte einen goldenen Anhänger, um seine Magie zu fokussieren. Er war wirklich talentiert, daher denke ich, dass auch Ihr ein gewisses Maß an Talent besitzt.«

»Ich fühle mich fast geschmeichelt.« Die Zauberin schlug das linke Bein über das rechte, stemmte ihren Ellenbogen auf die Tischplatte ab und legte ihre Wange auf ihre Handfläche. Ihr Gesichtsausdruck wirkte beinahe gelangweilt. »Aber ihr faselt mir zu viel herum. Sagt mir nun endlich, was Ihr wollt.«

»Ich will wissen, weshalb Menschen vom Himmel fallen.«

»Das glaube ich Euch nicht. Was kümmert es Euch, einem Halbdämon wie es den Menschen ergeht?«

»Das ist mir einerlei, aber wenn Monster und Dämonen vermehrt ihr Unwesen treiben, dann ist dies meist kein Zufall, sondern ein schlechtes Omen oder vielmehr eine beabsichtigte Tat.«

»Beabsichtigte Tat? – Ihr denkt, jemand hat dieses Monster in diese Gegend geschickt? – Weshalb sollte dies jemand tun? – Außer diesem kleinen, verschlafenen Dörfchen gibt es hier nichts. Niemand könnte daran ein Interesse haben. Sobald der Herbst seine Mitte erreicht hat, wird das Biest weiterziehen. Glaubt mir.«

Evan legte seinen Kopf schief. »Und da seid Ihr so sicher, weshalb?«

»Weil es hier dann nichts mehr zu holen geben wird. Die Bäume tragen keine Früchte mehr, die Kaufleute reisen nach Westen in Richtung Cadeira, wo es wärmer ist und wo sie nicht auf den Ausbruch eines Krieges warten müssen.«

»Und wenn es sich bei dem Monster um etwas Verfluchtes handelt?«, fragte Evan und hob eine Braue.

»Etwas Verfluchtes? – Ihr denkt, jemand könnte dunkle Magie eingesetzt haben?«

»Es könnte auch ein dunkles Ritual gewesen sein. Aber schon seltsam, dass ich auf eine Zauberin treffe, die augenscheinlich kein Interesse daran hat, das Dorf zu beschützen.«

Erbost ließ die Schneiderin ihre Faust auf den Tisch knallen. »Wie könnt Ihr es wagen? – Ihr kommt in mein Haus und beschuldigt mich, ein Monster erschaffen zu haben, das Unschuldige Menschen angreift?«

»Natürlich nicht. Aber danke, dass Ihr mir endlich Antworten gebt.«

»Bitte?« Die Faust der Zauberin erschlaffte. »Was für ein Spiel spielt Ihr?«

Evan lehnte sich in den Türrahmen und verschränkte die Arme; seine Stimme war ernst. »Ich spiele kein Spiel. Helft mir, herauszufinden, was in dem Wald sein Unwesen treibt, dann verschwinde ich wieder.«

»Pah!«, spuckte die Zauberin. »Ihr fordert viel, dafür, dass Ihr ungebeten in mein Haus kommt.«

»Ich bin mir sicher, dass Ihr mehr wisst und vor allem die Fähigkeiten besitzt, mir zu helfen.«

Die junge Frau seufzte und schwang abermals ihre linke Hand.

Der Ring leuchtete auf, und geschwind flogen alle Gegenstände, die im Raum damit beschäftigt waren, Kleider zu nähen, zurück in ihre Schubläden und Kisten.

»Ich kann Euch nicht helfen. Es ist nicht so, als würde ich den Menschen nicht helfen wollen. Aber ich kann es nicht riskieren, dass sie herausfinden, was ich wirklich bin.«

»Es sterben Menschen, jeden Tag.«

»Das ist mir bewusst!«, entgegnete sie lautstark. »Aber eine Schneiderin ist keine Monsterjägerin. Das ist nicht möglich, das wäre der falsche Weg.«

»Ihr seid eine Zauberin.«

»Eine Zauberin wäre nicht willkommen.«

»Nun. Lasst Euch eines gesagt sein: Manchmal können wir uns nicht aussuchen, was wir sind.«

Kurz lachte die Zauberin auf. »Eure hohlen Phrasen könnt Ihr Euch sparen.«

»Das sollte keine hohle Phrase sein. Aber ich möchte Euch auch nicht mehr Zeit stehlen als notwendig. Ich danke Euch dennoch, dass Ihr mich angehört habt.«

Der Halbdämon nickte zum Abschied und ließ die Zauberin nachdenklich zurück.

»Was fällt dem eigentlich ein?«, schimpfte diese leise vor sich hin.

Sie stand von ihrem Hocker auf, als sie die Türklingel läuten hörte und sich sicher war, dass der Halbdämon verschwunden war, und lief eine kurze Zeit in dem hell erleuchteten Zimmer auf und ab.

Wenn es das Ziel des Halbdämons gewesen sei, der jungen Frau ein schlechtes Gewissen einzureden, so hatte er es offenkundig geschafft.

Sie erwischte sich dabei, wie sie gedankenverloren an ihren Fingernägeln nagte.

Ein Ärgernis in ihren Augen, dass der Halbdämon sie so durcheinanderbringen konnte.

Die Schneiderin hob die linke Hand, wischte in der Luft umher, und ihr Ring begann erneut zu leuchten.

Es öffnete sich eine Schublade ihrer Kommode, und ein altes Buch schoss heraus, erhob sich bis kurz vor die Decke und landete mit einem lauten Knall auf dem langen Schneidetisch. Dabei wirbelte es Staub und Stoffreste auf.

»Solch ein Narr«, sagte sie, setzte sich wieder auf ihren Hocker und begann in dem Buch zu blättern. »Ein Zauber soll es sein, oder doch ein dunkles Ritual?«

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Kapitel 3
Die Schneiderin

Beschreibung: Evan und Leuven haben Ravensberg verlassen und setzen ihre Reise gen Norden fort. Ihr Weg führt sie durch ein Waldstück, das anfangs noch ruhig erscheint, doch plötzlich passiert etwas unerwartetes: Ein Mann fällt vom Himmel!

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Teil 2

Das Dorf Garven lag direkt an einer Flussmündung am Rande des Waldes.

Ein ruhiger Ort. Das Bild war geprägt von etlichen Holzhütten mit bedeckten Strohdächern.

Ziegen, Schafe und Rinder grasten am Flussbett und reckten ihre Köpfe hoch, als der Planwagen über eine kleine Brücke, die über einen Bach führte, polterte.

Das Dorf, so ruhig und beschaulich es auch war, war zudem auch noch menschenleer.

»Wo sind denn alle?«, fragte Leuven irritiert, als er mit einem Ruck an den Zügeln Ida und somit den gesamten Karren zum Halt brachte.

Misstrauisch blickte der Halbdämon umher und sprang vom Kutschbock hinunter.

Die Türen und Fensterluken der Häuser waren geschlossen. Niemand war auf den verzweigten Wegen unterwegs.

»Als wäre die Nacht bereits angebrochen«, merkte Leuven an, der Evan auf Schritt und Tritt folgte und sich umschaute.

»Ja, irgendwie schon«, murmelte Evan, »irgendetwas stimmt doch nicht.«

Wie aus dem Nichts erklang plötzlich die Stimme eines Mannes. Rau und harsch klang sie. »Verschwindet von hier!«

Zuerst konnte der Halbdämon nicht genau orten, woher die Stimme erklang, dann erspähte er eine schemenhafte Person, die durch zwei Fensterluken spähte.

Evan ging einen Schritt näher darauf zu. »Ihr braucht euch vor uns nicht zu fürchten«, sprach er.

»Vor euch fürchten wir uns auch nicht«, entgegnete die Stimme hinter der Fensterluke. »Dort draußen lauert das Böse. Verschwindet oder es wird euch wie den anderen ergehen!«

»Den anderen?«, fragte Evan.

»Dieses Biest nimmt sich jeden. Unseren Jäger hat sie schon, auch einige tapfere junge Männer, die es erlegen wollten, mussten dran glauben. Seit Wochen schon traut sich kein Kaufmann mehr in diese Gegend.«

Evan drehte sich herum und blickte zu den Tieren hinüber, die am Flussbett grasten.

»Euren Tieren scheint es nichts anzuhaben«, sagte er schließlich.

»Nein, nein«, stammelte der Mann, »nur nach Menschenblut dürstet es. Nun geht, bevor es euch auch erwischt.«

»Um was für eine Bestie handelt es sich denn?«

»Geht!«

Evan machte auf dem Absatz kehrt.

»Warte, du willst gehen?«, fragte Leuven und folgte dem Halbdämon zurück zum Karren.

»Willst du ihnen denn nicht helfen?«, fügte er an.

»Wir sind hier unerwünscht. Du hast es doch gehört.« Evan blickte seinen Begleiter ernst an. »Natürlich werden wir nicht einfach gehen, aber ich muss herausfinden, womit wir es hier zu tun haben.«

»So kenne ich dich«, ließ Leuven verlauten. »Du kämpfst gegen das Monster und ich warte bei Ida. So machen wir das!«

»Du wirst ebenfalls etwas beitragen. Du wirst mir helfen, herauszufinden, womit wir es zu tun haben.«

»Wie soll ich das denn anstellen? Niemand hier will mit uns reden.«

»Es gibt mit Sicherheit jemanden. Die Menschen haben Angst. Sie brauchen jemanden, der ihnen hilft.«

Evan spitzte die Ohren. Etwas bewegte sich in der Gasse hinter ihm.

Als er sich herumdrehte, bemerkte er eine alte Dame, die sich auf die beiden zubewegte.

Sie war klein und schon in einem sehr hohen Alter. Sie ging gebückt, und jeder Schritt schien ihre morschen Knochen sehr zu belasten.

Mit kratzender Stimme sprach sie zu dem Halbdämon: »Ihr seid gekommen, um uns zu helfen?«

»Eigentlich handelt es sich um einen Zufall, dass wir euer Dorf passieren.« Der Halbdämon musterte die alte Dame.

»Aber mein Freund hier«, mischte sich Leuven ein und setzte ein breites Grinsen auf, »er ist der beste Dämonenjäger im gesamten Königreich. Nein, nein, in allen Königreichen, das verspreche ich euch. Ich habe gesehen, wie er mit einem bösen Dämon kurzen Prozess gemacht hat.«

»Leuven, halt den Rand«, warf Evan kurz ein und wandte sich wieder an die alte Dame. »Die Bestie, die im Wald ihr Unwesen treibt. Erzählt mir alles, was ihr wisst.«

Die alte Dame schaute nervös nach links und dann rechts. Mit gesenkter Stimme antwortete sie dem Halbdämon: »Viel kann ich euch nicht darüber erzählen.«

Sie hustete auf. »Ich kann euch nur sagen, dass es vor etwa einem Monat begann. Dort verschwand die junge Tochter des Müllers. Danach schaffte es kaum ein Reisender mehr in dieses Dorf. Schnell hat sich die Geschichte über das Monster im Wald herumgesprochen.«

»Das ist nicht viel«, gab Evan nachdenklich zurück. »Mehr wisst ihr nicht?«

»Ich bin nur eine alte Frau«, meinte sie. »Mich kümmert es nicht mehr. Aber wenn ihr mehr herausfinden wollt, dann…«

Die alte Dame kam einen Schritt näher und begann zu flüstern. »Sprecht mit der Schneiderin. Sie kann euch helfen.«

»Mit der Schneiderin?«

»Ja, sie kann euch sicher helfen. Aber bitte tut mir, der alten Dame, einen Gefallen. Behandelt sie gut. Sie ist solch ein nettes und liebes Mädchen.«

Der Halbdämon hob irritiert eine Braue. »Weshalb sollte ich sie schlecht behandeln?«

Wieder blickte die alte Dame nervös nach links und nach rechts. »Das kann ich euch nicht sagen. Tut mir aber diesen Gefallen.«

»Nun denn, ich werde mein Bestes tun«, sagte Evan.

»Ich danke euch«, die alte Dame prustete und hustete. »Ihr Geschäft befindet sich direkt gegenüber vom Hufschmied.«

Der Halbdämon nickte dankend, als die Dame wieder in der Gasse verschwand.

»Welch seltsame alte Schachtel«, meinte Leuven und kratzte sich am strubbeligen Kopf.

»In der Tat.« Der Halbdämon legte einen Finger an sein Kinn und dachte nach. »Wie soll uns eine Schneiderin helfen?«

»Vielleicht hat sie ja schöne Kleider im Angebot. Auch Monster wollen sich schick kleiden.«

Leuvens Oberarm schmerzte. Der Schlag des Halbdämons war fest und präzise.

»Arbeite an deinen Aggressionen!«, schimpfte er und rieb sich die schmerzende Stelle.

»Dann nimm das ganze gefälligst ernst.«

»Das tue ich. Aber du musst nicht immer gleich den Dämon aus dir raushängen lassen. Mahnende Worte reichen auch.«

»Bei dir mitnichten!«

Leuven stöhnte laut auf. »Und nun, was wollen wir als Nächstes tun?«

»Ich werde dieser Schneiderin einen Besuch abstatten.«

»In Ordnung, suchen wir diese Schneiderin.«

Der Halbdämon schaute seinen Begleiter kopfschüttelnd an. »Nicht wir, nur ich. Du wirst versuchen, andere Dorfbewohner zum Reden zu bewegen. Außerdem haben wir kaum noch Proviant. Versuche, etwas zu besorgen.«

»O, ich darf mal wieder die Drecksarbeit erledigen«, schnaubte Leuven. »Du stattest einer Schneiderin einen Besuch ab, und ich darf diese armen Dorfbewohner um ihre letzten Vorräte erleichtern. Das ist ja ein wirklich toller Plan.«

Evan zog die Stirn kraus. »Versuch es mit weniger Sarkasmus und frage nett. Außerdem könnte die Schneiderin auch eine Sackgasse sein. Vielleicht findest du mehr heraus. Wenn sie erst einmal erkannt haben, dass ich ein Halbdämon bin, dann halten sie noch mich für das Monster. Also hör auf, dich zu beschweren.«

Leuven überlegte. In der Tat hatte Evan recht. Die Dorfbewohner waren verängstigt, da würde die Ankunft eines Halbdämons nur noch für mehr Unruhe sorgen.

»Nun gut«, sagte er schließlich. »Wir treffen uns dann wieder hier am Wagen.«

Der Halbdämon nickte. »Und Leuven, tu mir einen Gefallen, stelle keine Dummheiten an.«

Abwehrend hielt dieser seine Hände vor sich. »Wo denkst du denn hin?«

Misstrauisch blickte der Halbdämon zu ihm herüber und trat dann mit einem kräftigen Seufzer davon.

Nachdem er in der nächsten Straße verschwunden war, blickte der junge Kaufmann ihm noch kurz hinterher, ehe er in die Mitte des tot wirkenden Dorfes schritt.

Leuven schaute sich nervös um. Die Straßen waren still und leer, und nicht einmal das leiseste Geräusch drang durch die schmalen Spalten der Fensterläden. Die Stille war erdrückend.

Er drehte sich noch einmal hastig um, als hätte er erwartet, dass Evan plötzlich hinter ihm auftauchen würde. Doch niemand war da. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn, und er atmete tief durch.

»Eure Schreckenstage sind vorüber!«, rief er schließlich mit erhobener Stimme, bemüht, seine Unsicherheit zu verbergen. »Hilfe ist auf dem Weg! Ihr habt auf die Dämonenjäger gehofft, und heute ist euer Glückstag! Der beste Dämonenjäger hat euer Dorf erreicht!«

Die Worte hallten durch die stillen Gassen. Keine Antwort. Nur der leichte Wind, der durch die Straßen wehte und das Stroh auf den Dächern sanft rascheln ließ, war zu hören.

Leuven fühlte, wie sich die Unsicherheit in ihm breitmachte. Das war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. Er kratzte sich am Kopf, während er die leeren Fenster und Türen musterte. Hatte er einen Fehler gemacht?

Plötzlich durchbrach eine zögerliche Stimme die Stille. »Ist das… wahr?«

Eine weitere, kaum hörbare Stimme folgte. »Sind die Dämonenjäger endlich gekommen?«

Langsam öffneten sich die ersten Fensterläden, und vereinzelte Gesichter erschienen in den Schatten dahinter, unsicher, aber voller Hoffnung.

Fast diabolisch blickte Leuven drein, als er erkannte, dass er die Dorfbewohner aus ihren Verstecken locken konnte und vielleicht so Evan beweisen konnte, dass er doch nicht so unnütz sei, wie dieser dachte.

Kurz hielt Evan inne, als er vor der Tür eines kleinen Häuschens stand. Er vernahm ein Brüllen aus der Ferne.

Es war Leuvens Stimme, das erkannten seine scharfen Ohren, doch die Worte konnte er nicht verstehen.

»Ich hoffe, dass er keinen Unfug anstellt«, dachte sich der Halbdämon und blickte schließlich umher.

Nur ein kleines Schild mit der Aufschrift »Kleider, Stiefel und Stoffwerk«, das an die Hauswand gelehnt war, wies darauf hin, dass hier die Schneiderin ihrem Handwerk nachging.

Vorsichtig öffnete er die Tür.

Das Häuschen wirkte nicht wie ein Geschäft, eher wie das Zuhause einfacher Dörfler.

Doch die am Türrahmen befestigte Klingel, die sofort zu läuten begann, als Evan die Tür aufschob, überzeugte ihn.

Es war dunkel in dem Raum. Die Fensterluken waren verschlossen, nicht eine einzige Kerze war entzündet. Nur aus einem hinteren Zimmer schien Licht.

Der Halbdämon schaute sich um.

Überall hingen farbenfrohe Kleider an den Wänden oder zierten lebensgroße Puppen aus Kartoffelsäcken, die mit Stroh befüllt waren.

Es kam ihm unheimlich vor. Auch wenn er keine Angst verspürte, so überkam ihn ein seltsames Gefühl.

Vorsicht war geboten, das redete er sich nicht nur ein, das sagte ihm sein ganzer Körper.

Die liebreizende Stimme einer jungen Dame drang aus dem Hinterzimmer. »Das Geschäft ist geschlossen.«

Evan wagte es dennoch, der Stimme zu folgen.

Das grelle Licht blendete ihn, als er das Hinterzimmer betrat.

»Habt Ihr nicht gehört? – Das Geschäft ist geschlossen«, wiederholte die liebreizende Stimme.

Evan erspähte eine junge Frau mit strohblonden Haaren, tiefblauen Augen und samtiger, fast glitzernder Haut.

»Verzeiht mir, ich wollte euch nicht stören«, sagte der Halbdämon und schaute in dem hell erleuchteten Zimmer umher.

Nadeln und Garn flogen filigran durch die Luft, verbanden grünen und beigen Stoff, während eine Schere im Licht aufblitzte und an ihm vorbei sauste, um die Stoffe in Form zu schneiden.

Die junge Frau kniff die Augen zusammen. »Ihr seht nicht so aus, als wärt Ihr auf der Suche nach neuen Kleidern.« Ein rauer Ton schwang in ihrer Stimme mit.

Doch Evan war geblendet. Weniger vom Licht, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte, vielmehr von den verschiedenen Objekten, die im Raum von links nach rechts sausten. Jedes mit einem bestimmten Ziel.

Dann wandte er sich der jungen Frau zu, die in einem blau-weißen Kleid auf einem Hocker saß. Vor sich, auf einem langen Tisch, lagen die verschiedensten Schnittmuster ausgebreitet.

»Schneiderin«, betonte er süffisant, schon fast spöttisch. »Wohl eher eine Zauberin. Was treibt euch in solch ein kleines Dörfchen im Nirgendwo?«

»Das geht euch wohl kaum etwas an«, antwortete sie und schaute Evan dabei finster an. »Ein Halbdämon sollte wohl kaum solche Fragen stellen. Da seid Ihr überrascht, wie? – Mich könnt ihr nicht täuschen. Ich erkenne, was Ihr seid, auch wenn ich Mitleid verspüre.«

»Mitleid?«, Evan war überrascht; Mitleid war das Letzte, das er erwartet hatte. »Mich braucht ihr nicht bemitleiden. Aber dennoch frage ich mich, was eine Zauberin in solch ein verschlagenes Dorf führt und vor allem, weshalb sie sich den Beruf der Schneiderin ausgesucht hat. Hier wäre vielleicht eher Mitleid angebracht.«

»Der Ruf meines Schneiderhandwerks ist weit verbreitet. Edle Herrschaften kommen her, um sich von mir Kleider, Wämse und gar schicke Schuhe herstellen zu lassen. Damit lässt sich gutes Geld verdienen. Ich hoffe, das reicht Euch als Antwort. Mehr Antworten werdet ihr nicht erhalten«, gab die Schneiderin mit einem Schnauben zurück.

Evan beobachtete, wie sich aus Stoffen, Nadeln und Faden eine edle Hose an der Decke spann. Dann schaute er ernst zu der jungen Dame. »Wie mir scheint, hat euer Geschäft etwas gelitten, seitdem eine Bestie diese Gegend unsicher macht.«

»Nur kurzzeitig. Monster kommen und gehen, nur selten bleiben sie an einem Ort.«

»Ist das so? – Ihr scheint euch gut mit ihnen auszukennen, aber unternommen habt ihr nichts.«

Finster blickte die Schneiderin drein. »Was sollte ich auch ausrichten? – Ich nähe und stricke. Ich bin keine Monsterjägerin.«

Nun verstand Evan, weshalb die alte Dame ihn darum bat, der jungen Frau nett zu begegnen. »Niemand weiß über Eure Kräfte. Ihr versteckt euch, Ihr gaukelt den Dörflern etwas vor. Dabei könntet Ihr ihnen helfen.«

»Ist das so?«, fragte die junge Frau. »Und wie sollte ich das anstellen?«

»Ihr habt durchaus die Fähigkeiten, herauszufinden, was dieses Dorf heimsucht. Es sei denn… es sei denn, eure Fähigkeiten beschränken sich tatsächlich auf das Schneidern. Vielleicht habt Ihr eure Talente ja nie gefördert. Schade, aber sei es drum.«

Der Halbdämon schaute sich verblüfft in dem Raum umher, ehe eine spitze Schere auf sein Gesicht zuraste und kurz vor seiner Nasenspitze Halt machte.

Der Halbdämon blieb locker. Er wusste, dass er nicht um sein Leben fürchten musste. »Beeindruckend. Ihr könnt also doch mit euren Fähigkeiten umgehen. Ich nehme an, Ihr wart auf der Akademie. Jetzt aber verschwendet Ihr euer Talent?«

»Ich sagte bereits, mehr Antworten werde ich Euch nicht geben.«

»Ich verstehe.«

»Und dennoch stellt Ihr weitere Fragen. Aber jetzt bin ich dran. Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« Die Stimme der Zauberin wurde harsch und fast fauchend.

»Gut, dann fange ich an. Mein Name ist Evan Dhorne. Tatsächlich bin ich eher zufällig in dieses Dorf gelangt. Wobei das nicht so ganz stimmt. Es fiel ein Mann vom Himmel. Dem wollte ich auf den Grund gehen.«

»Es fiel ein Mann vom Himmel?«

»Jawohl. Sehr ungewöhnlich, nicht wahr? – Übrigens, dürfte ich mich hinsetzen?«, fragte Evan und zeigte auf einen freien Hocker an dem Tisch.

Noch immer schwebte die Schere bedrohlich vor seiner Nase.

»Ihr dürft stehen bleiben«, gab die Zauberin herrisch zurück, wedelte mit ihrer linken Hand, und geschwind sauste die Schere davon.

Evan kam nicht umhin, zu beobachten, wie ein silberner Ring an der linken Hand der jungen Frau dabei begann aufzuleuchten.

»Ihr müsst wirklich Talent haben, wenn ein Ring euch als Katalysator dient.«

Ertappt, ja beinahe erschrocken, blickte die Zauberin auf ihren silbernen Ring mit dem blauen Saphir.

»Ihr scheint viel Wissen über die Zaubererkaste zu haben«, sagte sie misstrauisch. »Ungewöhnlich.«

Ein breites Grinsen erschien in Evans Gesicht. »Ich kannte mal einen Zauberer, der nutzte einen goldenen Anhänger, um seine Magie zu fokussieren. Er war wirklich talentiert, daher denke ich, dass auch Ihr ein gewisses Maß an Talent besitzt.«

»Ich fühle mich fast geschmeichelt.« Die Zauberin schlug das linke Bein über das rechte, stemmte ihren Ellenbogen auf die Tischplatte ab und legte ihre Wange auf ihre Handfläche. Ihr Gesichtsausdruck wirkte beinahe gelangweilt. »Aber ihr faselt mir zu viel herum. Sagt mir nun endlich, was Ihr wollt.«

»Ich will wissen, weshalb Menschen vom Himmel fallen.«

»Das glaube ich Euch nicht. Was kümmert es Euch, einem Halbdämon wie es den Menschen ergeht?«

»Das ist mir einerlei, aber wenn Monster und Dämonen vermehrt ihr Unwesen treiben, dann ist dies meist kein Zufall, sondern ein schlechtes Omen oder vielmehr eine beabsichtigte Tat.«

»Beabsichtigte Tat? – Ihr denkt, jemand hat dieses Monster in diese Gegend geschickt? – Weshalb sollte dies jemand tun? – Außer diesem kleinen, verschlafenen Dörfchen gibt es hier nichts. Niemand könnte daran ein Interesse haben. Sobald der Herbst seine Mitte erreicht hat, wird das Biest weiterziehen. Glaubt mir.«

Evan legte seinen Kopf schief. »Und da seid Ihr so sicher, weshalb?«

»Weil es hier dann nichts mehr zu holen geben wird. Die Bäume tragen keine Früchte mehr, die Kaufleute reisen nach Westen in Richtung Cadeira, wo es wärmer ist und wo sie nicht auf den Ausbruch eines Krieges warten müssen.«

»Und wenn es sich bei dem Monster um etwas Verfluchtes handelt?«, fragte Evan und hob eine Braue.

»Etwas Verfluchtes? – Ihr denkt, jemand könnte dunkle Magie eingesetzt haben?«

»Es könnte auch ein dunkles Ritual gewesen sein. Aber schon seltsam, dass ich auf eine Zauberin treffe, die augenscheinlich kein Interesse daran hat, das Dorf zu beschützen.«

Erbost ließ die Schneiderin ihre Faust auf den Tisch knallen. »Wie könnt Ihr es wagen? – Ihr kommt in mein Haus und beschuldigt mich, ein Monster erschaffen zu haben, das Unschuldige Menschen angreift?«

»Natürlich nicht. Aber danke, dass Ihr mir endlich Antworten gebt.«

»Bitte?« Die Faust der Zauberin erschlaffte. »Was für ein Spiel spielt Ihr?«

Evan lehnte sich in den Türrahmen und verschränkte die Arme; seine Stimme war ernst. »Ich spiele kein Spiel. Helft mir, herauszufinden, was in dem Wald sein Unwesen treibt, dann verschwinde ich wieder.«

»Pah!«, spuckte die Zauberin. »Ihr fordert viel, dafür, dass Ihr ungebeten in mein Haus kommt.«

»Ich bin mir sicher, dass Ihr mehr wisst und vor allem die Fähigkeiten besitzt, mir zu helfen.«

Die junge Frau seufzte und schwang abermals ihre linke Hand.

Der Ring leuchtete auf, und geschwind flogen alle Gegenstände, die im Raum damit beschäftigt waren, Kleider zu nähen, zurück in ihre Schubläden und Kisten.

»Ich kann Euch nicht helfen. Es ist nicht so, als würde ich den Menschen nicht helfen wollen. Aber ich kann es nicht riskieren, dass sie herausfinden, was ich wirklich bin.«

»Es sterben Menschen, jeden Tag.«

»Das ist mir bewusst!«, entgegnete sie lautstark. »Aber eine Schneiderin ist keine Monsterjägerin. Das ist nicht möglich, das wäre der falsche Weg.«

»Ihr seid eine Zauberin.«

»Eine Zauberin wäre nicht willkommen.«

»Nun. Lasst Euch eines gesagt sein: Manchmal können wir uns nicht aussuchen, was wir sind.«

Kurz lachte die Zauberin auf. »Eure hohlen Phrasen könnt Ihr Euch sparen.«

»Das sollte keine hohle Phrase sein. Aber ich möchte Euch auch nicht mehr Zeit stehlen als notwendig. Ich danke Euch dennoch, dass Ihr mich angehört habt.«

Der Halbdämon nickte zum Abschied und ließ die Zauberin nachdenklich zurück.

»Was fällt dem eigentlich ein?«, schimpfte diese leise vor sich hin.

Sie stand von ihrem Hocker auf, als sie die Türklingel läuten hörte und sich sicher war, dass der Halbdämon verschwunden war, und lief eine kurze Zeit in dem hell erleuchteten Zimmer auf und ab.

Wenn es das Ziel des Halbdämons gewesen sei, der jungen Frau ein schlechtes Gewissen einzureden, so hatte er es offenkundig geschafft.

Sie erwischte sich dabei, wie sie gedankenverloren an ihren Fingernägeln nagte.

Ein Ärgernis in ihren Augen, dass der Halbdämon sie so durcheinanderbringen konnte.

Die Schneiderin hob die linke Hand, wischte in der Luft umher, und ihr Ring begann erneut zu leuchten.

Es öffnete sich eine Schublade ihrer Kommode, und ein altes Buch schoss heraus, erhob sich bis kurz vor die Decke und landete mit einem lauten Knall auf dem langen Schneidetisch. Dabei wirbelte es Staub und Stoffreste auf.

»Solch ein Narr«, sagte sie, setzte sich wieder auf ihren Hocker und begann in dem Buch zu blättern. »Ein Zauber soll es sein, oder doch ein dunkles Ritual?«

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