Kapitel 2: Jäger und Gejagte
Beschreibung: Evan und Leuven haben die Burg Haren verlassen. Auf ihrer beschwerlichen Reise zur Hauptstadt Rabensberg wird Leuven erst wirklich bewusst, in welch gefährliche Welt er sich gewagt hat. Doch auch, wenn er gehofft hatte, sich weiterhin in der Sicherheit, die Evan ihm bot, wähnen zu können, hat dieser andere Pläne. Ihre Wege trennen sich, denn der Halbdämon bereitet sich auf ein Treffen mit einem alten Bekannten vor.
Teil 2
Die Tür zur Gaststätte öffnete sich knarrend, als der Halbdämon sie aufstieß.
Qualmiger Rauch und der Geruch von abgestandenem Bier schlugen ihm entgegen.
Zu Evans linker Seite erstreckte sich ein langer, hölzerner Tresen, hinter dem sich Regale voller unterschiedlich geformter Flaschen und Fässer türmten.
Ein Mann mit einem pockennarbigen Gesicht, das von tiefen Falten durchzogen war, stand hinter dem Tresen und zapfte Bier in einen Krug.
Als der Halbdämon die Taverne betrat, hob der Mann kurz den Kopf und musterte ihn mit einem verdutzten Blick. Dann wandte er sich wieder ab und schenkte dem Neuankömmling keine weitere Beachtung.
An den groben Holztischen saßen finstere Gestalten, die ihre Krüge in stillem Schweigen leerten.
Die Wände waren geschmückt mit verstaubten Bildern und Wappen, die ein düsteres Licht von den wenigen Kerzen reflektierten.
Keine Stimme erhob sich lauter als ein leises Murmeln, und niemand stieß mit seinem Nachbarn an.
Evan spürte sofort die bedrückende Stimmung.
Einige Blicke trafen den Halbdämon, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde.
Offenbar waren auch die trinkfreudigen Ganoven dieser Stadt auf der Hut vor Verfolgern.
Evan suchte sich einen freien Platz in der hintersten Ecke der Taverne. Von dort hatte er einen guten Blick auf die Gäste und konnte Gefahren bereits frühzeitig erkennen.
Einige Gesichter kamen ihm bekannt vor, wenn meist auch nur von Fahndungsplakaten.
Roger Vidalgo, ein Sklavenhändler aus Liszk in Cardíz. Sein Gesicht prangte in jeder größeren Stadt und sein Name verbreitete Angst und Schrecken, nicht nur im Königreich Brünnen.
Sein glattrasierter Kopf mit der langgezogenen Narbe vom Schädel bis hinter sein rechtes Ohr, schrie förmlich nach Verbrecher und galt als sein Markenzeichen.
Genau wie die mit Tattoos überzogenen, muskulösen Oberarme und das kantige Gesicht von Jorg de Vries, einem einfachen Schläger, wie man meinen könnte, doch er galt als äußerst brutaler Söldner, der es liebte, seine Opfer vor dem Tod zu quälen.
Rodrik „Steinfaust“ Grimgar, ein schwarzbärtiger Zwerg, das Gesicht mit unzähligen Narben verschandelt und die Hände voller Schnittwunden, war bekannt dafür, seine Feinde mit bloßer Faust zu Tode zu prügeln.
Fast die Hälfte der Gäste hatte eine dunkle Vergangenheit, das wusste Evan, aber dass sie es wagten, sich in der Hauptstadt Brünnens zu versammeln, das empfand er als äußerst gewagt.
Aber wer nun einmal große Geschäfte machen wollte, der musste jedes Risiko eingehen.
Eine Dame in engem Korsett und langem, rotem lockigem Haar kam an seinen Tisch und stemmte die Fäuste in die Hüfte.
Sie besaß einen athletischen Körperbau, strahlend blaue Augen, die Abenteuerlust und Neugier ausdrückten, und volle Lippen, die ein sinnliches Lächeln umspielten.
Ihre üppigen Brüste, die kaum von dem eng geschnürten Korsett gehalten wurden, drückten sich verführerisch hervor und ließen erahnen, dass sie diese in ihrem Beruf gekonnt einzusetzen wusste.
Das beige Hemd, das sie unter dem Korsett trug, spannte über ihrer Brust und gewährte durch den tiefen Ausschnitt einen freizügigen Blick auf ihr Dekolleté. Der lange Rock hingegen, der fast bis zum Boden reichte, verdeckte ihre Beine und verlieh ihr gleichzeitig eine gewisse Eleganz in dieser tristen Umgebung.
»Was darf es sein?«, fragte sie mit rauchiger Stimme.
Evan blickte unter der Kapuze hervor.
Seine stechend roten Augen zauberten der Bardame ein Lächeln ins Gesicht.
»Du Drecksack, du hast ja Mut hier aufzutauchen«, sagte sie leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Schön dich zu sehen, Lydia. Ich hörte bereits, dass du dich hier niedergelassen hast.«
»Wie lange ist es her, dass ich deine hässliche Visage zuletzt gesehen habe?«, fragte die junggebliebene Frau und rückte sich einen Stuhl zurecht.
Sie stützte sich mit einem Unterarm auf die Tischplatte und ließ sich auf den Stuhl gleiten, wobei sie ihre Hüfte so positionierte, dass sie jederzeit aufspringen und eingreifen konnte, falls es Probleme mit einem der Gäste geben sollte.
»Es ist viel zu lang her«, gab Evan zurück, ohne ihr dabei in die Augen zu schauen. »Seitdem ist viel passiert.«
»Na, da bin ich aber gespannt, was du zu erzählen hast. Ich kann mir ohnehin denken, weshalb du hier bist«, sagte Lydia und blickte kurz prüfend in der Taverne umher. »Er ist aber noch in einer Besprechung.«
»Ich kann warten. Seit Monaten bin ich unterwegs, was machen mir da schon ein paar Minuten aus. Vielleicht könntest du mir ja einen Met bringen?«
Lydia schaute ihn scharf an und antwortete mit rauer Stimme. »Seh ich etwa wie deine scheiß Bedienstete aus?«
Kurz schwiegen sich die Beiden an, dann lachte die Bardame auf. »Aber natürlich bringe ich dir deinen Met. Dir kann man aber auch gar nichts vormachen. Keine Regung in deinem Gesicht. Siehst ja schon fast wie ein Toter aus!«
Sie sprang vom Stuhl auf und zwinkerte dem Halbdämon amüsiert zu.
Auf ein »Kriege ich noch ein Bier?« eines Gastes reagierte sie mit erhobener Faust und gebleckten Zähnen. »Halt´s Maul! Kommt gleich!«
Evan seufzte. Er verabscheute solche Etablissements, fühlte sich dort eingeengt und ständig beobachtet.
In der Regel waren die prüfenden Blicke stets auf ihn gerichtet. In diesem Fall kümmerte sich aber jeder um seine eigenen Angelegenheiten. Das beruhigte ihn aber nur wenig.
Nach kurzer Zeit setzte sich Lydia wieder auf ihren Stuhl und stellte dem Halbdämon einen Holzkrug mit goldglänzendem Met auf den Tisch.
»Genieß ihn, geht aufs Haus«, sagte sie lächelnd.
Obwohl ihrer rauen Art, kannte Evan ihren inneren Kern. Ihren warmen und fürsorglichen Charakter.
»Ich danke dir. Das brauche ich jetzt«, gab er zurück und lächelte.
Das schien der Bardame als Bezahlung zu genügen.
»Na, ich weiß doch, wie ich dich glücklich machen kann«, gab sie zweideutig zurück und kniff die Augen zusammen.
Beinahe verschluckte sich der Halbdämon an seinem ersten Schluck Met und blickte sie mit großen Augen an.
»Wie ich sehe«, hustete er und wischte sich mit seinem Handrücken den Met vom Kinn, »hast du deinen Humor nicht verloren.«
»Wieso sollte ich den auch verloren haben?«, fragte sie, legte ihren Kopf zur Seite und schaute ihn dabei durchdringend an.
»Nun ja, als wir uns zuletzt gesehen haben, wolltest du in Richtung Küste. Du bist weit entfernt vom Meer, stattdessen hast du dich im Armenviertel von Rabensberg niedergelassen.«
»Manchmal läuft es halt anders.« Seufzte Lydia und setzte ein ernstes Gesicht auf. »Aber die Bezahlung stimmt und ich konnte mir einen Namen machen. In der Regel lassen die Gäste mich in Ruhe. Ab und an kommen mal Fremde, aber ich weiß, wie ich meinen Namen in ihre Hohlbirnen brenne. Du kennst mich.«
»Das tue ich. Bisher bist du immer gut allein zurechtgekommen. Allerdings hatte ich mir eher gedacht, dass du dich in einer kleinen Hafenstadt oder einem Dörfchen niederlässt. Die Ruhe genießt, nach all dem Trubel.«
Lydia winkte ab. »Hach, du kennst mich wohl doch nicht gut genug! – So ein Leben ist nichts für mich. Ich habe es versucht, wirklich, aber das ist mir schnell langweilig geworden. Hier bin ich gut aufgehoben. Schau nicht so, du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, mach dir eher Sorgen um die, die mir krumm kommen.«
Ein erzwungenes Schmunzeln blitzte für einen kurzen Moment in Evans Gesicht auf.
»Ich werde ein Gebet für diese armen Seelen sprechen«, gab er frech zurück.
Sein Blick wanderte zu einer Tür hinter dem Tresen, die sich öffnete.
Ein dürrer Mann mit schütterem Haar verließ das Hinterzimmer.
»Offenbar kann er mich jetzt empfangen«, sagte Evan mit melancholischer Stimme und blickte wieder zu Lydia. »Ich danke dir. Es war schön dich wiederzusehen.«
Diese nickte mit freundlichem Lächeln. Ihre Augen aber verrieten ihre Besorgnis. »War auch schön, dich wiederzusehen, lass es nicht das letzte Mal gewesen sein.«
»Bestimmt nicht.« Mit einem Zug kippte der Halbdämon den Met aus dem Krug seine Kehle hinunter. Kurz verzog er dabei das Gesicht.
Mit raschen Schritten eilte er an den Gästen und Tischen vorbei und trat in das Hinterzimmer.
Dunkelheit umschloss ihn wie ein dichter Mantel. Nur ein schwacher Lichtschein, der durch eine kleine Öffnung von der Straße in den Raum fiel, erhellte die Szenerie.
Der Raum war leer, bis auf einen massiven Schreibtisch und einen alten, klapprigen Stuhl davor. So sah es für Evan zunächst aus.
Als eine Kerze auf dem Schreibtisch flackerte, tauchte sie eine Gestalt auf der anderen Seite des Schreibtisches in ein zartes Licht.
Eine dickliche Person, mit rundlichem Gesicht und kahlem Kopf, erschien vor dem Halbdämon.
Hätte man die Person mit grüner Farbe bedeckt, hätte man sie im ersten Moment für eine übergroße Kröte halten können.
Es war Vaclav Riszko, der gefürchtete Warlord, dessen Name in ganz Brünnen Angst und Schrecken verbreitete.
Er trug ein seidenes Hemd mit weitausladenden Ärmeln. Sein Blick prüfend und misstrauisch.
»Hast du etwa abgenommen?«, fragte Evan und schaute ihn dabei ernst an, auch wenn die Bemerkung sarkastischer Natur war.
Sein Gegenüber musterte den Halbdämon. Sein Blick strahlte Ruhe, aber auch Skepsis aus.
»Evan Dhorne, du Hund. Ich hätte nicht gedacht, dich so früh zu sehen«, sagte Vaclav Riszko quakend.
»Du bist überrascht?« Evan erhob verwundert eine Braue.
»Nein, nicht wirklich. Im Gegensatz zu manch einem der anderen Versager, war auf dich immerhin stets Verlass.«
Stille kehrte ein, aber nur für kurze Zeit, dann brach Vaclav in gellendes Gelächter aus. »Setz dich, mein Freund, setz dich.«
Evan nahm auf dem wackeligen Stuhl Platz, legte seinen Reisesack neben sich ab und schaute sich in dem kahlen Zimmer um. »Schön hast du es hier. Wie ich bemerke, empfängst du deine Gäste immer noch im Dunkeln.«
Vaclav schnalzte mit der Zunge. »Es ist besser, wenn so wenig Leute wie nötig mein Gesicht kennen.«
»Und ich dachte, du würdest deinen Besuchern einen Gefallen tun wollen«, gab der Halbdämon schmunzelnd zurück.
»Wenn ich dein Gesicht hätte, würde ich nicht so das Maul aufreißen«, erwiderte daraufhin der Warlord.
Kurz schwiegen die beiden und tauschten erzürnte Blicke aus. Dann wandelte sich der Gesichtsausdruck des Warlords in ein hämisches Grinsen.
Evan atmete tief durch. »Als mir gesagt wurde, dass ich dich in Rabensberg aufsuchen solle, hatte ich es erst nicht geglaubt. Vaclav Riszko, in Rabensberg. Willst du dich nicht gleich den Wachen stellen?«
»Hier ist eine Menge los, sag ich dir. Mit einem gefüllten Sack voller Kronen kann man sich quasi unsichtbar machen. Das ist fast wie Zauberei, nur, dass ich dabei ärmer werde. Aber ob ich lange bleibe, das weiß ich noch nicht, man sollte immer in Bewegung bleiben.«
»Bewegung würde dir wirklich guttun«, schmunzelte der Halbdämon.
Vaclavs einzige Antwort war ein böser Blick, dann fuhr er fort. »Anderes Thema, wie ich gehört habe, hast du für ziemlich Furore in Oberbruch gesorgt. Mir wurde bereits mitgeteilt, dass du den Bastard Kinan erwischt hast. Gute Arbeit, wirklich gute Arbeit. Er wird meinen Geschäften zumindest nicht mehr im Wege stehen«, sprach Vaclav, lehnte sich in seinem Stuhl vor und legte seine Finger ineinander. »Haben dir die Informationen geholfen, die ich dir gegeben habe?«
»Nein«, gab Evan zurück. »Deine Informationen waren eine Sackgasse. Wobei, nicht ganz. Die Burg des Lords wurde von einem Dämon heimgesucht. Er hatte allerdings nichts mit Rowan zu tun. Eher mit der Gattin des Lords.«
»Das tut mir leid«, sagte Vaclav.
»Tut es dir nicht.« Evan kannte den Warlord. Wenn es nicht mit ihm persönlich zu tun hatte, dann war es ihm auch egal.
»Du stellst mich immer so herzlos dar. Deine Geschichte bewegt mich. An deiner Stelle würde ich das halbe Königreich niedermetzeln, um die Person zu finden, die mein Leben zerstört hat.«
»Wann hast du dir schon einmal selbst die Finger schmutzig gemacht?«
»In Ordnung, ich würde sie alle niedermetzeln lassen«, gab Vaclav zurück und machte eine wedelnde Handbewegung.
Evan seufzte. Es gefiel ihm nicht, mit Leuten wie Vaclav Riszko in Verbindung zu stehen. Doch dieser hatte seine Ohren und Augen überall. Das gereichte ihm hin und wieder zum Vorteil.
Sein Netzwerk aus Spionen hat sich als äußerst nützlich erwiesen. Auch, wenn es häufig vorkam, dass ihn Falschinformationen erreichten. So hätte er seine Liste ohne diese niemals soweit voranbringen können.
»Aber sag mal, was ist denn auf der Burg Haren genau passiert?«, begann der Warlord und kratzte sich seine schuppige Stirn. Weiße Flocken rieselten auf seinen Schreibtisch. »Ich kann mir kaum denken, dass sie dir dort Eintritt gewährt haben.«
»Nun ja, wie bereits erwähnt, hat sich dort ein Dämon eingenistet. Ich habe mit ihm kurzen Prozess gemacht.«
»War ja auch nicht anders von dir zu erwarten. Zu gern hätte ich mir das angesehen. Der Lord muss sehr dankbar gewesen sein.«
»Nicht wirklich. Seine Frau fand durch den Dämon ihren Tod.«
Vaclav machte große Augen und rümpfte dabei die Nase. »Das nennt man wohl Pech. Es hätte nicht schaden können, in der Gunst eines Lords zu stehen. Du hättest mein Eingangstor in höhere Gesellschaften sein können.«
»Natürlich interessierst du dich nur dafür«, stöhnte Evan.
Sein Gegenüber lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verzog das Gesicht. »Hör auf, so zu tun, als würde nur ich mich nach meinen niederen Instinkten richten. Schau dir an, was auf den Straßen los ist. Die Leute hungern, bestehlen sich gegenseitig, morden, plündern, rauben. Ein jeder von uns will überleben. Der Obrigkeit des Reiches ist es doch ebenfalls einerlei, was hier passiert, solange das Gesindel schön hinter den Mauern bleibt und nicht zu ihrem Problem wird.«
»Der Unterschied ist aber, dass du nicht hungern musst.«
»Mein Hunger nach Einfluss kommt aber auch anderen zugute. Vergiss nicht, wo du ohne mich wärst. Auch deinen Hunger nach Rache füttere ich.«
»Jetzt übertreibst du aber.« Evan schüttelte abwertend den Kopf.
Vaclav lehnte sich ein Stück vor. »Ist doch so. Wie das Kalb an der Zitze seiner Mutter hängt, bist auch du abhängig von mir. Ohne mein Netzwerk würdest du bei dem Namen Rowan nur ein fragendes Gesicht machen.«
Evan schwieg und wandte seinen Blick ab.
Vaclav hingegen schloss die Augen und stöhnte leise auf. »Genau so ist es. Wie dem auch sei. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, indem du Kinan ausgeschaltet hast. Ich mag es nicht, wenn sich jemand in meine Geschäfte einmischt. Dafür habe ich recht frische Informationen über Rowan für dich.«
»Raus damit!«, spuckte der Halbdämon.
»Ruhig, ruhig, wir sind doch nicht auf der Flucht. Schau nicht so, deine Augen machen mir Angst. Rowan und seine Leute befinden sich tatsächlich in Brünnen. Das habe ich aus erster Hand erfahren.«
»Wie vertrauenswürdig ist deine Quelle?« Evan versuchte seine Aufregung zu verbergen, als er auf darauf wartete, dass Vaclav mit der Sprache herausrückte. Der Warlord aber kannte den Halbdämon und seine Gier nach Informationen über Rowan.
»Ich lege meine Hand für sie ins Feuer. Wobei, soweit würde ich vielleicht doch nicht gehen. Aber hör zu, offenbar ist er auf der Flucht vor der Gilde.«
»Das bezweifle ich.«
»Wieso bezweifelst du das? – Ach, soll mir egal sein. Willst du ihn oder nicht?«
»Natürlich will ich ihn.«
Evan kniff die Augen ernst zusammen. »Aber ich muss sichergehen, dass die Informationen auch stimmen, ich kann es mir nicht erlauben, einem Hirngespinst hinterherzulaufen, nicht schon wieder.«
»Hey, hey«, prustete Vaclav, »das war ja wohl nicht meine Schuld. Du weißt, dass meine Leute alles versuchen, um dir zu helfen. Aber dieser Rowan ist wie ein Geist.«
»Vaclav«, kurz hielt der Halbdämon inne und fuhr dann fort, »Du bist dir wirklich sicher, dass Rowan in Brünnen ist? – Wo genau hält er sich auf?«
»Das weiß ich leider noch nicht, aber dieses Mal vertraue ich meiner Kontaktperson. Sollte er uns verarschen wollen, dann schneide ich ihm eigenhändig seinen Bauch auf, spanne seine Eingeweide an einen Karren und schleife ihn durch die ganze Stadt. Na, wie hört sich das an?«
»Schrecklich. Aber ich mische mich da nicht ein. Wenn die Informationen falsch sind, dann…«
»Was dann?« Das Gesicht des Warlords verfinsterte sich. »Du drohst mir? – Draußen sind ein Dutzend der meistgesuchten Männer des Königreichs. Sie alle arbeiten für mich und stehen mir loyal zur Seite. Auch du kannst sie nicht alle besiegen. Ein falscher Schritt und deine Eingeweide verteilen sich auf dem Boden.«
»Schon gut, lassen wir es sein.« Evan schüttelte genervt den Kopf und setzte sich auf.
»Du vertraust mir nicht?«, fragte Vaclav halb entsetzt, halb lachend. Dann wurde seine Miene wieder ernst. »Wir sind noch nicht fertig. Setz dich wieder hin.«
»Was ist denn noch?«, fragte Evan verärgert und setzte sich missmutig wieder auf den klapprigen Holzstuhl.
»Da gibt es tatsächlich noch eine Sache. Ein weiterer Auftrag.«
»Ich habe kein Interesse. Brünnen ist groß, ich brauche weitere Informationen. Bis dahin aber, kannst du mich von deiner Liste streichen«, gab Evan erzürnt zurück.
»Hör zu. Er wird dir gefallen. Denn mit diesem Auftrag wirst du selbst herausfinden, ob Rowan sich in Brünnen aufhält und vielleicht sogar seinen genauen Aufenthaltsort. Denn wie mir zu Ohren kam, befinden sich einige seiner Leute hier in Rabensberg.«
»Was? – Und damit rückst du jetzt erst heraus?«, spuckte Evan aufgeregt aus.
»Du wolltest doch gehen, ohne mich ausreden zu lassen, also reg dich nicht so auf. Mein Auftraggeber hat mir mitgeteilt, dass du ihn heute um Mitternacht in der Kathedrale antreffen sollst.«
»Moment, ein Auftraggeber will sich mit mir persönlich treffen? – Das hat es noch nie gegeben, du achtest doch sonst so sehr auf Diskretion.«
»Nun mein Freund, dir zu Liebe mache ich eine Ausnahme.«
Evan schaute Vaclav tief in die Augen. »Er bezahlt gut, oder?«
»Oh Mann, natürlich, als würde ich aus Nächstenliebe handeln. Aber mir soll es ganz recht sein, so muss ich mich nicht weiter bemühen.«
»Da gibt es aber ein Problem«, merkte der Halbdämon an und verschränkte die Arme, schnalzte dabei abwertend mit der Zunge. »Ich wüsste nicht, wie ich zur Kathedrale kommen sollte.«
»Ach, hör mir auf mit deiner alten Leier!«
»Vaclav, ich bin ein Halbdämon, ich kann nicht einfach durch die Viertel der Hauptstadt spazieren, wie es mir gefällt, hast du das vergessen?«
Der Warlord verdrehte stöhnend die Augen. »Natürlich nicht. Aber mir geht es doch nicht anders. Mein Name ist in jeder Stadt bekannt, von Norden nach Süden und Westen nach Osten. Verkrieche ich mich deshalb im dunklen Keller?«
»Offenbar«, empörte sich Evan und schaute demonstrativ in dem dunklen Zimmer umher.
»Ach, das dient doch nur der Inszenierung. Andere Kleidung, etwas Schminke und schon kannst du seelenruhig auf dem Marktplatz bummeln.«
»Bummeln? – Du willst mir ernsthaft einreden, dass du bummelst?«
»Nein, aber ich könnte. Wäre schön blöd, wenn ich so rausgehen würde, ohne meinen Begleitschutz. Es gibt sicher hunderte von Leuten, die meinen Kopf rollen sehen wollen. Aber du, mein Freund, du bist ein unbeschriebenes Blatt. Oder sagen wir eher, jeder den du verärgert hast, hat bereits keinen Kopf mehr«, gab Vaclav zurück, lachte kurz amüsiert auf und führte fort: »Wie dem auch sei, dir wird schon etwas einfallen. Sei pünktlich da, ich bin mir sicher, dass es sich für dich lohnen wird.«
»Und worum handelt es sich bei dem Auftrag?«
»Was weiß ich?«
»Du hast nicht danach gefragt?«
»Es hieß eindeutig, dass ich dir Treffpunkt und Zeit nennen solle, mehr nicht.«
»Du denkst auch wirklich nur an das Geld«, schnaubte Evan und ließ sich in den Stuhl fallen, der bedrohlich zu knarren begann.
»In der Tat. Ich wurde schließlich auch im Voraus bezahlt. Also beweg gefälligst deinen Halbdämonenarsch dahin.« Auch Vaclav lehnte sich nach hinten, doch sein Rücken traf auf den weichen, samtenen Stoff seines edlen Sessels.
»Mir gefällt das ganz und gar nicht«, sagte Evan leise. Er sprach hauptsächlich zu sich selbst, doch sein Gegenüber regte sich in seinem Sessel. »Das geht mir vollkommen am Arsch vorbei. Sonst bist du doch immer scharf auf Informationen über Rowan und jetzt, wo sie direkt vor deiner Nase sind und du sie dir nur noch holen musst, kneifst du?«
»Damit hat das nichts zu tun. Aber egal, dich interessieren meine Worte ohnehin nicht. Ich werde dort sein, aber wehe, es ist eine Finte. Vaclav, das ist mein Ernst.«
»Ich erkenne, wenn ein Mann es ernst meint. Bei Frauen ist es deutlich schwerer zu erkennen.“
Evan schüttelte vielsagend seinen Kopf.
„Ach, ehe ich es vergesse, ich will dich natürlich nicht mit leeren Händen gehen lassen.“ Vaclav schob die oberste Schublade seines Schreibtisches auf und holte einen kleinen, klimpernden Stoffbeutel hervor.
Er legte ihn vor Evan ab, der seine Stirn vor Verwunderung in Falten legte.
„Guck nicht so. Ich bin zwar geldgierig, aber jeder soll für gute Arbeit entlohnt werden. Und jetzt beweg deinen Arsch hier raus, ich kann deine hässliche Visage nicht mehr sehen, außerdem habe ich noch Kunden zu bedienen.« Vaclav fuchtelte vielsagend mit seiner Hand.
Evan griff nach dem Stoffbeutel, verstaute ihn mit bösem Blick in seiner Tasche und erhob sich von seinem Platz. Er hielt kurz inne, als er sich seinen Reisesack um die Schulter warf. »Ach, Vaclav?«
»Ja?«
»Fick dich.«
Als Evan sich abwandte und die Tür hinter sich schloss, ließ sich der Warlord lachend in seinen Sessel fallen.
»Bei den Göttern, was für eine Missgeburt«, stöhnte er amüsiert auf.
Aber auch ein so reicher und einflussreicher Mann wie Vaclav Riszko war sich bewusst, dass man mit jemandem wie Evan nicht spaßen sollte. Er hatte ihm schon etliche Aufträge übergeben.
Mal ging es darum, einen unliebsamen Widersacher auszuschalten, der seine Geschäfte behinderte, mal darum Banditen zu jagen, aber immer ging es darum, jemandem nach dem Leben zu trachten und Evan Dhorne, der Halbdämon, hatte nie versagt.
In der Schankstube vernahm die Bardame Lydia, wie der Halbdämon, aus dem dunklen Zimmer herauskam.
Sie stellte zwei Krüge mit Bier vor Gästen ab und wanderte zu diesem hinüber.
»Du siehst nicht wirklich begeistert aus«, merkte sie an, während sie fragend die Augen zusammenkniff.
»Du weißt ja, wie er ist«, gab Evan seufzend zurück. »Ich bin es langsam leid. Die letzten Aufträge haben mich kaum ein Stück weitergebracht.«
»Vielleicht wäre es an der Zeit, sich andere Quellen zu suchen«, gab Lydia zurück. »Vaclavs Quellen scheinen zumindest zu versiegen.«
»Ohne ihn wäre ich nicht soweit gekommen. Einen Auftrag erledige ich noch.«
»Es ist deine Entscheidung. Sollst du wieder jemanden für ihn erledigen?«
Kurz hielt Evan inne, dann antwortete er achselzuckend. »Wohl kaum. Der Auftraggeber will sich mit mir persönlich treffen.«
»Mir gefällt das überhaupt nicht«, fluchte Lydia, die sich nun mit dem Rücken an den Tresen lehnte. »Vaclav ist ein Mistkerl, dem man nicht trauen darf.«
»Das weiß ich«, gab Evan zurück. »Aber ein jeder hier wird von ihm finanziert, auch wir beide.«
»Wenn du willst«, begann die Bardame, »begleite ich dich. Wie in alten Zeiten, das klingt doch verlockend. Wir beide gegen den Rest der Welt.«
»Das klingt wirklich verlockend, aber ich denke, es ist besser, wenn ich dich da nicht mit hineinziehe. Wir haben viel zusammen erlebt, aber alles hat irgendwann ein Ende«, sagte der Halbdämon reumütig.
»Vergiss es langsam. Dich trifft keine Schuld. Was damals passiert ist, konnte niemand vorhersehen.« Kurz überlegte Lydia, ob sie ihre Hand auf Evans Schulter ablegen sollte, aber sie wusste, dass ihm solche Gesten nicht viel bedeuteten und auch für sie fühlte es sich erzwungen an, also ließ sie davon ab.
»Aber ich hätte damit rechnen können, das ist ja das Schlimme. Wir drei waren ein gutes Team, aber jetzt bleibe ich am besten allein, dann kann ich auch niemanden enttäuschen.« Evan blickte seiner Freundin nachdenklich in die Augen.
Sie erkannte den Schmerz, der in ihm innewohnte. Den Schmerz, den er schon immer in sich trug und den er meist versuchte zu verstecken, doch früh erkannte Lydia, dass der Halbdämon ein gebrochenes Herz hatte und je weniger er darüber redete, desto mehr wurde ihr bewusst, wie sehr es ihn innerlich zerriss.
»Hör zu, was zwischen dir und Dúval passiert ist, lässt sich nicht rückgängig machen, aber du musst deine Schuldgefühle nicht auf ewig mit dir herumtragen. Schließe damit ab, richte deinen Blick nach vorn. Als ich dich kennengelernt habe, hattest du eine Liste voller seltsamer Namen und du wusstest gar nicht wo du als nächstes weitermachen sollst. Jetzt konzentriere dich auf deine nächste Aufgabe, dann wirst auch du hoffentlich einen Abschluss finden« sagte Lydia und blickte ihrem Gegenüber aufmunternd in die Augen. »Dafür hast du all die Jahre gekämpft und ich habe dich stets unterstützt.«
»Dafür bin ich dir auch sehr dankbar«, gab Evan mit einem leichten Schmunzeln zurück.
Eine laute Männerstimme erklang in dem Lokal. »Welche Bergziege muss man eigentlich ficken um hier ein Bier zu kriegen!?«
Nach diesen Worten bäumte sich Lydia auf und antwortete mit rasender Stimme in die Menge hinein. »Halt dein Maul oder ich komm und schlag dich windelweich! – Dein Bier kommt gleich!«
Sie wandte sich wieder Evan zu und ihre aufbrausende Miene war vollkommen aus ihrem Gesicht verschwunden. »Ich muss an die Arbeit, aber tue mir den Gefallen und pass auf dich auf.«
»Das werde ich«, versprach der Halbdämon.
»Gut, denn ich kann dich nicht beschützen.« Lydia zwinkerte ihm noch ein letztes Mal zu, ehe sie brüllend und mit erhobener Faust in der Menge der Gäste verschwand.
Evan schaute ihr noch kurz hinterher, ehe er zwei Münzen auf den Tresen legte und die Schenke verließ.
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Kapitel 2
Jäger und Gejagte
Beschreibung: Evan und Leuven haben die Burg Haren verlassen. Auf ihrer beschwerlichen Reise zur Hauptstadt Rabensberg wird Leuven erst wirklich bewusst, in welch gefährliche Welt er sich gewagt hat. Doch auch, wenn er gehofft hatte, sich weiterhin in der Sicherheit, die Evan ihm bot, wähnen zu können, hat dieser andere Pläne. Ihre Wege trennen sich, denn der Halbdämon bereitet sich auf ein Treffen mit einem alten Bekannten vor.
Teil 2
Die Tür zur Gaststätte öffnete sich knarrend, als der Halbdämon sie aufstieß.
Qualmiger Rauch und der Geruch von abgestandenem Bier schlugen ihm entgegen.
Zu Evans linker Seite erstreckte sich ein langer, hölzerner Tresen, hinter dem sich Regale voller unterschiedlich geformter Flaschen und Fässer türmten.
Ein Mann mit einem pockennarbigen Gesicht, das von tiefen Falten durchzogen war, stand hinter dem Tresen und zapfte Bier in einen Krug.
Als der Halbdämon die Taverne betrat, hob der Mann kurz den Kopf und musterte ihn mit einem verdutzten Blick. Dann wandte er sich wieder ab und schenkte dem Neuankömmling keine weitere Beachtung.
An den groben Holztischen saßen finstere Gestalten, die ihre Krüge in stillem Schweigen leerten.
Die Wände waren geschmückt mit verstaubten Bildern und Wappen, die ein düsteres Licht von den wenigen Kerzen reflektierten.
Keine Stimme erhob sich lauter als ein leises Murmeln, und niemand stieß mit seinem Nachbarn an.
Evan spürte sofort die bedrückende Stimmung.
Einige Blicke trafen den Halbdämon, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde.
Offenbar waren auch die trinkfreudigen Ganoven dieser Stadt auf der Hut vor Verfolgern.
Evan suchte sich einen freien Platz in der hintersten Ecke der Taverne. Von dort hatte er einen guten Blick auf die Gäste und konnte Gefahren bereits frühzeitig erkennen.
Einige Gesichter kamen ihm bekannt vor, wenn meist auch nur von Fahndungsplakaten.
Roger Vidalgo, ein Sklavenhändler aus Liszk in Cardíz. Sein Gesicht prangte in jeder größeren Stadt und sein Name verbreitete Angst und Schrecken, nicht nur im Königreich Brünnen.
Sein glattrasierter Kopf mit der langgezogenen Narbe vom Schädel bis hinter sein rechtes Ohr, schrie förmlich nach Verbrecher und galt als sein Markenzeichen.
Genau wie die mit Tattoos überzogenen, muskulösen Oberarme und das kantige Gesicht von Jorg de Vries, einem einfachen Schläger, wie man meinen könnte, doch er galt als äußerst brutaler Söldner, der es liebte, seine Opfer vor dem Tod zu quälen.
Rodrik „Steinfaust“ Grimgar, ein schwarzbärtiger Zwerg, das Gesicht mit unzähligen Narben verschandelt und die Hände voller Schnittwunden, war bekannt dafür, seine Feinde mit bloßer Faust zu Tode zu prügeln.
Fast die Hälfte der Gäste hatte eine dunkle Vergangenheit, das wusste Evan, aber dass sie es wagten, sich in der Hauptstadt Brünnens zu versammeln, das empfand er als äußerst gewagt.
Aber wer nun einmal große Geschäfte machen wollte, der musste jedes Risiko eingehen.
Eine Dame in engem Korsett und langem, rotem lockigem Haar kam an seinen Tisch und stemmte die Fäuste in die Hüfte.
Sie besaß einen athletischen Körperbau, strahlend blaue Augen, die Abenteuerlust und Neugier ausdrückten, und volle Lippen, die ein sinnliches Lächeln umspielten.
Ihre üppigen Brüste, die kaum von dem eng geschnürten Korsett gehalten wurden, drückten sich verführerisch hervor und ließen erahnen, dass sie diese in ihrem Beruf gekonnt einzusetzen wusste.
Das beige Hemd, das sie unter dem Korsett trug, spannte über ihrer Brust und gewährte durch den tiefen Ausschnitt einen freizügigen Blick auf ihr Dekolleté. Der lange Rock hingegen, der fast bis zum Boden reichte, verdeckte ihre Beine und verlieh ihr gleichzeitig eine gewisse Eleganz in dieser tristen Umgebung.
»Was darf es sein?«, fragte sie mit rauchiger Stimme.
Evan blickte unter der Kapuze hervor.
Seine stechend roten Augen zauberten der Bardame ein Lächeln ins Gesicht.
»Du Drecksack, du hast ja Mut hier aufzutauchen«, sagte sie leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Schön dich zu sehen, Lydia. Ich hörte bereits, dass du dich hier niedergelassen hast.«
»Wie lange ist es her, dass ich deine hässliche Visage zuletzt gesehen habe?«, fragte die junggebliebene Frau und rückte sich einen Stuhl zurecht.
Sie stützte sich mit einem Unterarm auf die Tischplatte und ließ sich auf den Stuhl gleiten, wobei sie ihre Hüfte so positionierte, dass sie jederzeit aufspringen und eingreifen konnte, falls es Probleme mit einem der Gäste geben sollte.
»Es ist viel zu lang her«, gab Evan zurück, ohne ihr dabei in die Augen zu schauen. »Seitdem ist viel passiert.«
»Na, da bin ich aber gespannt, was du zu erzählen hast. Ich kann mir ohnehin denken, weshalb du hier bist«, sagte Lydia und blickte kurz prüfend in der Taverne umher. »Er ist aber noch in einer Besprechung.«
»Ich kann warten. Seit Monaten bin ich unterwegs, was machen mir da schon ein paar Minuten aus. Vielleicht könntest du mir ja einen Met bringen?«
Lydia schaute ihn scharf an und antwortete mit rauer Stimme. »Seh ich etwa wie deine scheiß Bedienstete aus?«
Kurz schwiegen sich die Beiden an, dann lachte die Bardame auf. »Aber natürlich bringe ich dir deinen Met. Dir kann man aber auch gar nichts vormachen. Keine Regung in deinem Gesicht. Siehst ja schon fast wie ein Toter aus!«
Sie sprang vom Stuhl auf und zwinkerte dem Halbdämon amüsiert zu.
Auf ein »Kriege ich noch ein Bier?« eines Gastes reagierte sie mit erhobener Faust und gebleckten Zähnen. »Halt´s Maul! Kommt gleich!«
Evan seufzte. Er verabscheute solche Etablissements, fühlte sich dort eingeengt und ständig beobachtet.
In der Regel waren die prüfenden Blicke stets auf ihn gerichtet. In diesem Fall kümmerte sich aber jeder um seine eigenen Angelegenheiten. Das beruhigte ihn aber nur wenig.
Nach kurzer Zeit setzte sich Lydia wieder auf ihren Stuhl und stellte dem Halbdämon einen Holzkrug mit goldglänzendem Met auf den Tisch.
»Genieß ihn, geht aufs Haus«, sagte sie lächelnd.
Obwohl ihrer rauen Art, kannte Evan ihren inneren Kern. Ihren warmen und fürsorglichen Charakter.
»Ich danke dir. Das brauche ich jetzt«, gab er zurück und lächelte.
Das schien der Bardame als Bezahlung zu genügen.
»Na, ich weiß doch, wie ich dich glücklich machen kann«, gab sie zweideutig zurück und kniff die Augen zusammen.
Beinahe verschluckte sich der Halbdämon an seinem ersten Schluck Met und blickte sie mit großen Augen an.
»Wie ich sehe«, hustete er und wischte sich mit seinem Handrücken den Met vom Kinn, »hast du deinen Humor nicht verloren.«
»Wieso sollte ich den auch verloren haben?«, fragte sie, legte ihren Kopf zur Seite und schaute ihn dabei durchdringend an.
»Nun ja, als wir uns zuletzt gesehen haben, wolltest du in Richtung Küste. Du bist weit entfernt vom Meer, stattdessen hast du dich im Armenviertel von Rabensberg niedergelassen.«
»Manchmal läuft es halt anders.« Seufzte Lydia und setzte ein ernstes Gesicht auf. »Aber die Bezahlung stimmt und ich konnte mir einen Namen machen. In der Regel lassen die Gäste mich in Ruhe. Ab und an kommen mal Fremde, aber ich weiß, wie ich meinen Namen in ihre Hohlbirnen brenne. Du kennst mich.«
»Das tue ich. Bisher bist du immer gut allein zurechtgekommen. Allerdings hatte ich mir eher gedacht, dass du dich in einer kleinen Hafenstadt oder einem Dörfchen niederlässt. Die Ruhe genießt, nach all dem Trubel.«
Lydia winkte ab. »Hach, du kennst mich wohl doch nicht gut genug! – So ein Leben ist nichts für mich. Ich habe es versucht, wirklich, aber das ist mir schnell langweilig geworden. Hier bin ich gut aufgehoben. Schau nicht so, du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, mach dir eher Sorgen um die, die mir krumm kommen.«
Ein erzwungenes Schmunzeln blitzte für einen kurzen Moment in Evans Gesicht auf.
»Ich werde ein Gebet für diese armen Seelen sprechen«, gab er frech zurück.
Sein Blick wanderte zu einer Tür hinter dem Tresen, die sich öffnete.
Ein dürrer Mann mit schütterem Haar verließ das Hinterzimmer.
»Offenbar kann er mich jetzt empfangen«, sagte Evan mit melancholischer Stimme und blickte wieder zu Lydia. »Ich danke dir. Es war schön dich wiederzusehen.«
Diese nickte mit freundlichem Lächeln. Ihre Augen aber verrieten ihre Besorgnis. »War auch schön, dich wiederzusehen, lass es nicht das letzte Mal gewesen sein.«
»Bestimmt nicht.« Mit einem Zug kippte der Halbdämon den Met aus dem Krug seine Kehle hinunter. Kurz verzog er dabei das Gesicht.
Mit raschen Schritten eilte er an den Gästen und Tischen vorbei und trat in das Hinterzimmer.
Dunkelheit umschloss ihn wie ein dichter Mantel. Nur ein schwacher Lichtschein, der durch eine kleine Öffnung von der Straße in den Raum fiel, erhellte die Szenerie.
Der Raum war leer, bis auf einen massiven Schreibtisch und einen alten, klapprigen Stuhl davor. So sah es für Evan zunächst aus.
Als eine Kerze auf dem Schreibtisch flackerte, tauchte sie eine Gestalt auf der anderen Seite des Schreibtisches in ein zartes Licht.
Eine dickliche Person, mit rundlichem Gesicht und kahlem Kopf, erschien vor dem Halbdämon.
Hätte man die Person mit grüner Farbe bedeckt, hätte man sie im ersten Moment für eine übergroße Kröte halten können.
Es war Vaclav Riszko, der gefürchtete Warlord, dessen Name in ganz Brünnen Angst und Schrecken verbreitete.
Er trug ein seidenes Hemd mit weitausladenden Ärmeln. Sein Blick prüfend und misstrauisch.
»Hast du etwa abgenommen?«, fragte Evan und schaute ihn dabei ernst an, auch wenn die Bemerkung sarkastischer Natur war.
Sein Gegenüber musterte den Halbdämon. Sein Blick strahlte Ruhe, aber auch Skepsis aus.
»Evan Dhorne, du Hund. Ich hätte nicht gedacht, dich so früh zu sehen«, sagte Vaclav Riszko quakend.
»Du bist überrascht?« Evan erhob verwundert eine Braue.
»Nein, nicht wirklich. Im Gegensatz zu manch einem der anderen Versager, war auf dich immerhin stets Verlass.«
Stille kehrte ein, aber nur für kurze Zeit, dann brach Vaclav in gellendes Gelächter aus. »Setz dich, mein Freund, setz dich.«
Evan nahm auf dem wackeligen Stuhl Platz, legte seinen Reisesack neben sich ab und schaute sich in dem kahlen Zimmer um. »Schön hast du es hier. Wie ich bemerke, empfängst du deine Gäste immer noch im Dunkeln.«
Vaclav schnalzte mit der Zunge. »Es ist besser, wenn so wenig Leute wie nötig mein Gesicht kennen.«
»Und ich dachte, du würdest deinen Besuchern einen Gefallen tun wollen«, gab der Halbdämon schmunzelnd zurück.
»Wenn ich dein Gesicht hätte, würde ich nicht so das Maul aufreißen«, erwiderte daraufhin der Warlord.
Kurz schwiegen die beiden und tauschten erzürnte Blicke aus. Dann wandelte sich der Gesichtsausdruck des Warlords in ein hämisches Grinsen.
Evan atmete tief durch. »Als mir gesagt wurde, dass ich dich in Rabensberg aufsuchen solle, hatte ich es erst nicht geglaubt. Vaclav Riszko, in Rabensberg. Willst du dich nicht gleich den Wachen stellen?«
»Hier ist eine Menge los, sag ich dir. Mit einem gefüllten Sack voller Kronen kann man sich quasi unsichtbar machen. Das ist fast wie Zauberei, nur, dass ich dabei ärmer werde. Aber ob ich lange bleibe, das weiß ich noch nicht, man sollte immer in Bewegung bleiben.«
»Bewegung würde dir wirklich guttun«, schmunzelte der Halbdämon.
Vaclavs einzige Antwort war ein böser Blick, dann fuhr er fort. »Anderes Thema, wie ich gehört habe, hast du für ziemlich Furore in Oberbruch gesorgt. Mir wurde bereits mitgeteilt, dass du den Bastard Kinan erwischt hast. Gute Arbeit, wirklich gute Arbeit. Er wird meinen Geschäften zumindest nicht mehr im Wege stehen«, sprach Vaclav, lehnte sich in seinem Stuhl vor und legte seine Finger ineinander. »Haben dir die Informationen geholfen, die ich dir gegeben habe?«
»Nein«, gab Evan zurück. »Deine Informationen waren eine Sackgasse. Wobei, nicht ganz. Die Burg des Lords wurde von einem Dämon heimgesucht. Er hatte allerdings nichts mit Rowan zu tun. Eher mit der Gattin des Lords.«
»Das tut mir leid«, sagte Vaclav.
»Tut es dir nicht.« Evan kannte den Warlord. Wenn es nicht mit ihm persönlich zu tun hatte, dann war es ihm auch egal.
»Du stellst mich immer so herzlos dar. Deine Geschichte bewegt mich. An deiner Stelle würde ich das halbe Königreich niedermetzeln, um die Person zu finden, die mein Leben zerstört hat.«
»Wann hast du dir schon einmal selbst die Finger schmutzig gemacht?«
»In Ordnung, ich würde sie alle niedermetzeln lassen«, gab Vaclav zurück und machte eine wedelnde Handbewegung.
Evan seufzte. Es gefiel ihm nicht, mit Leuten wie Vaclav Riszko in Verbindung zu stehen. Doch dieser hatte seine Ohren und Augen überall. Das gereichte ihm hin und wieder zum Vorteil.
Sein Netzwerk aus Spionen hat sich als äußerst nützlich erwiesen. Auch, wenn es häufig vorkam, dass ihn Falschinformationen erreichten. So hätte er seine Liste ohne diese niemals soweit voranbringen können.
»Aber sag mal, was ist denn auf der Burg Haren genau passiert?«, begann der Warlord und kratzte sich seine schuppige Stirn. Weiße Flocken rieselten auf seinen Schreibtisch. »Ich kann mir kaum denken, dass sie dir dort Eintritt gewährt haben.«
»Nun ja, wie bereits erwähnt, hat sich dort ein Dämon eingenistet. Ich habe mit ihm kurzen Prozess gemacht.«
»War ja auch nicht anders von dir zu erwarten. Zu gern hätte ich mir das angesehen. Der Lord muss sehr dankbar gewesen sein.«
»Nicht wirklich. Seine Frau fand durch den Dämon ihren Tod.«
Vaclav machte große Augen und rümpfte dabei die Nase. »Das nennt man wohl Pech. Es hätte nicht schaden können, in der Gunst eines Lords zu stehen. Du hättest mein Eingangstor in höhere Gesellschaften sein können.«
»Natürlich interessierst du dich nur dafür«, stöhnte Evan.
Sein Gegenüber lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verzog das Gesicht. »Hör auf, so zu tun, als würde nur ich mich nach meinen niederen Instinkten richten. Schau dir an, was auf den Straßen los ist. Die Leute hungern, bestehlen sich gegenseitig, morden, plündern, rauben. Ein jeder von uns will überleben. Der Obrigkeit des Reiches ist es doch ebenfalls einerlei, was hier passiert, solange das Gesindel schön hinter den Mauern bleibt und nicht zu ihrem Problem wird.«
»Der Unterschied ist aber, dass du nicht hungern musst.«
»Mein Hunger nach Einfluss kommt aber auch anderen zugute. Vergiss nicht, wo du ohne mich wärst. Auch deinen Hunger nach Rache füttere ich.«
»Jetzt übertreibst du aber.« Evan schüttelte abwertend den Kopf.
Vaclav lehnte sich ein Stück vor. »Ist doch so. Wie das Kalb an der Zitze seiner Mutter hängt, bist auch du abhängig von mir. Ohne mein Netzwerk würdest du bei dem Namen Rowan nur ein fragendes Gesicht machen.«
Evan schwieg und wandte seinen Blick ab.
Vaclav hingegen schloss die Augen und stöhnte leise auf. »Genau so ist es. Wie dem auch sei. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, indem du Kinan ausgeschaltet hast. Ich mag es nicht, wenn sich jemand in meine Geschäfte einmischt. Dafür habe ich recht frische Informationen über Rowan für dich.«
»Raus damit!«, spuckte der Halbdämon.
»Ruhig, ruhig, wir sind doch nicht auf der Flucht. Schau nicht so, deine Augen machen mir Angst. Rowan und seine Leute befinden sich tatsächlich in Brünnen. Das habe ich aus erster Hand erfahren.«
»Wie vertrauenswürdig ist deine Quelle?« Evan versuchte seine Aufregung zu verbergen, als er auf darauf wartete, dass Vaclav mit der Sprache herausrückte. Der Warlord aber kannte den Halbdämon und seine Gier nach Informationen über Rowan.
»Ich lege meine Hand für sie ins Feuer. Wobei, soweit würde ich vielleicht doch nicht gehen. Aber hör zu, offenbar ist er auf der Flucht vor der Gilde.«
»Das bezweifle ich.«
»Wieso bezweifelst du das? – Ach, soll mir egal sein. Willst du ihn oder nicht?«
»Natürlich will ich ihn.«
Evan kniff die Augen ernst zusammen. »Aber ich muss sichergehen, dass die Informationen auch stimmen, ich kann es mir nicht erlauben, einem Hirngespinst hinterherzulaufen, nicht schon wieder.«
»Hey, hey«, prustete Vaclav, »das war ja wohl nicht meine Schuld. Du weißt, dass meine Leute alles versuchen, um dir zu helfen. Aber dieser Rowan ist wie ein Geist.«
»Vaclav«, kurz hielt der Halbdämon inne und fuhr dann fort, »Du bist dir wirklich sicher, dass Rowan in Brünnen ist? – Wo genau hält er sich auf?«
»Das weiß ich leider noch nicht, aber dieses Mal vertraue ich meiner Kontaktperson. Sollte er uns verarschen wollen, dann schneide ich ihm eigenhändig seinen Bauch auf, spanne seine Eingeweide an einen Karren und schleife ihn durch die ganze Stadt. Na, wie hört sich das an?«
»Schrecklich. Aber ich mische mich da nicht ein. Wenn die Informationen falsch sind, dann…«
»Was dann?« Das Gesicht des Warlords verfinsterte sich. »Du drohst mir? – Draußen sind ein Dutzend der meistgesuchten Männer des Königreichs. Sie alle arbeiten für mich und stehen mir loyal zur Seite. Auch du kannst sie nicht alle besiegen. Ein falscher Schritt und deine Eingeweide verteilen sich auf dem Boden.«
»Schon gut, lassen wir es sein.« Evan schüttelte genervt den Kopf und setzte sich auf.
»Du vertraust mir nicht?«, fragte Vaclav halb entsetzt, halb lachend. Dann wurde seine Miene wieder ernst. »Wir sind noch nicht fertig. Setz dich wieder hin.«
»Was ist denn noch?«, fragte Evan verärgert und setzte sich missmutig wieder auf den klapprigen Holzstuhl.
»Da gibt es tatsächlich noch eine Sache. Ein weiterer Auftrag.«
»Ich habe kein Interesse. Brünnen ist groß, ich brauche weitere Informationen. Bis dahin aber, kannst du mich von deiner Liste streichen«, gab Evan erzürnt zurück.
»Hör zu. Er wird dir gefallen. Denn mit diesem Auftrag wirst du selbst herausfinden, ob Rowan sich in Brünnen aufhält und vielleicht sogar seinen genauen Aufenthaltsort. Denn wie mir zu Ohren kam, befinden sich einige seiner Leute hier in Rabensberg.«
»Was? – Und damit rückst du jetzt erst heraus?«, spuckte Evan aufgeregt aus.
»Du wolltest doch gehen, ohne mich ausreden zu lassen, also reg dich nicht so auf. Mein Auftraggeber hat mir mitgeteilt, dass du ihn heute um Mitternacht in der Kathedrale antreffen sollst.«
»Moment, ein Auftraggeber will sich mit mir persönlich treffen? – Das hat es noch nie gegeben, du achtest doch sonst so sehr auf Diskretion.«
»Nun mein Freund, dir zu Liebe mache ich eine Ausnahme.«
Evan schaute Vaclav tief in die Augen. »Er bezahlt gut, oder?«
»Oh Mann, natürlich, als würde ich aus Nächstenliebe handeln. Aber mir soll es ganz recht sein, so muss ich mich nicht weiter bemühen.«
»Da gibt es aber ein Problem«, merkte der Halbdämon an und verschränkte die Arme, schnalzte dabei abwertend mit der Zunge. »Ich wüsste nicht, wie ich zur Kathedrale kommen sollte.«
»Ach, hör mir auf mit deiner alten Leier!«
»Vaclav, ich bin ein Halbdämon, ich kann nicht einfach durch die Viertel der Hauptstadt spazieren, wie es mir gefällt, hast du das vergessen?«
Der Warlord verdrehte stöhnend die Augen. »Natürlich nicht. Aber mir geht es doch nicht anders. Mein Name ist in jeder Stadt bekannt, von Norden nach Süden und Westen nach Osten. Verkrieche ich mich deshalb im dunklen Keller?«
»Offenbar«, empörte sich Evan und schaute demonstrativ in dem dunklen Zimmer umher.
»Ach, das dient doch nur der Inszenierung. Andere Kleidung, etwas Schminke und schon kannst du seelenruhig auf dem Marktplatz bummeln.«
»Bummeln? – Du willst mir ernsthaft einreden, dass du bummelst?«
»Nein, aber ich könnte. Wäre schön blöd, wenn ich so rausgehen würde, ohne meinen Begleitschutz. Es gibt sicher hunderte von Leuten, die meinen Kopf rollen sehen wollen. Aber du, mein Freund, du bist ein unbeschriebenes Blatt. Oder sagen wir eher, jeder den du verärgert hast, hat bereits keinen Kopf mehr«, gab Vaclav zurück, lachte kurz amüsiert auf und führte fort: »Wie dem auch sei, dir wird schon etwas einfallen. Sei pünktlich da, ich bin mir sicher, dass es sich für dich lohnen wird.«
»Und worum handelt es sich bei dem Auftrag?«
»Was weiß ich?«
»Du hast nicht danach gefragt?«
»Es hieß eindeutig, dass ich dir Treffpunkt und Zeit nennen solle, mehr nicht.«
»Du denkst auch wirklich nur an das Geld«, schnaubte Evan und ließ sich in den Stuhl fallen, der bedrohlich zu knarren begann.
»In der Tat. Ich wurde schließlich auch im Voraus bezahlt. Also beweg gefälligst deinen Halbdämonenarsch dahin.« Auch Vaclav lehnte sich nach hinten, doch sein Rücken traf auf den weichen, samtenen Stoff seines edlen Sessels.
»Mir gefällt das ganz und gar nicht«, sagte Evan leise. Er sprach hauptsächlich zu sich selbst, doch sein Gegenüber regte sich in seinem Sessel. »Das geht mir vollkommen am Arsch vorbei. Sonst bist du doch immer scharf auf Informationen über Rowan und jetzt, wo sie direkt vor deiner Nase sind und du sie dir nur noch holen musst, kneifst du?«
»Damit hat das nichts zu tun. Aber egal, dich interessieren meine Worte ohnehin nicht. Ich werde dort sein, aber wehe, es ist eine Finte. Vaclav, das ist mein Ernst.«
»Ich erkenne, wenn ein Mann es ernst meint. Bei Frauen ist es deutlich schwerer zu erkennen.“
Evan schüttelte vielsagend seinen Kopf.
„Ach, ehe ich es vergesse, ich will dich natürlich nicht mit leeren Händen gehen lassen.“ Vaclav schob die oberste Schublade seines Schreibtisches auf und holte einen kleinen, klimpernden Stoffbeutel hervor.
Er legte ihn vor Evan ab, der seine Stirn vor Verwunderung in Falten legte.
„Guck nicht so. Ich bin zwar geldgierig, aber jeder soll für gute Arbeit entlohnt werden. Und jetzt beweg deinen Arsch hier raus, ich kann deine hässliche Visage nicht mehr sehen, außerdem habe ich noch Kunden zu bedienen.« Vaclav fuchtelte vielsagend mit seiner Hand.
Evan griff nach dem Stoffbeutel, verstaute ihn mit bösem Blick in seiner Tasche und erhob sich von seinem Platz. Er hielt kurz inne, als er sich seinen Reisesack um die Schulter warf. »Ach, Vaclav?«
»Ja?«
»Fick dich.«
Als Evan sich abwandte und die Tür hinter sich schloss, ließ sich der Warlord lachend in seinen Sessel fallen.
»Bei den Göttern, was für eine Missgeburt«, stöhnte er amüsiert auf.
Aber auch ein so reicher und einflussreicher Mann wie Vaclav Riszko war sich bewusst, dass man mit jemandem wie Evan nicht spaßen sollte. Er hatte ihm schon etliche Aufträge übergeben.
Mal ging es darum, einen unliebsamen Widersacher auszuschalten, der seine Geschäfte behinderte, mal darum Banditen zu jagen, aber immer ging es darum, jemandem nach dem Leben zu trachten und Evan Dhorne, der Halbdämon, hatte nie versagt.
In der Schankstube vernahm die Bardame Lydia, wie der Halbdämon, aus dem dunklen Zimmer herauskam.
Sie stellte zwei Krüge mit Bier vor Gästen ab und wanderte zu diesem hinüber.
»Du siehst nicht wirklich begeistert aus«, merkte sie an, während sie fragend die Augen zusammenkniff.
»Du weißt ja, wie er ist«, gab Evan seufzend zurück. »Ich bin es langsam leid. Die letzten Aufträge haben mich kaum ein Stück weitergebracht.«
»Vielleicht wäre es an der Zeit, sich andere Quellen zu suchen«, gab Lydia zurück. »Vaclavs Quellen scheinen zumindest zu versiegen.«
»Ohne ihn wäre ich nicht soweit gekommen. Einen Auftrag erledige ich noch.«
»Es ist deine Entscheidung. Sollst du wieder jemanden für ihn erledigen?«
Kurz hielt Evan inne, dann antwortete er achselzuckend. »Wohl kaum. Der Auftraggeber will sich mit mir persönlich treffen.«
»Mir gefällt das überhaupt nicht«, fluchte Lydia, die sich nun mit dem Rücken an den Tresen lehnte. »Vaclav ist ein Mistkerl, dem man nicht trauen darf.«
»Das weiß ich«, gab Evan zurück. »Aber ein jeder hier wird von ihm finanziert, auch wir beide.«
»Wenn du willst«, begann die Bardame, »begleite ich dich. Wie in alten Zeiten, das klingt doch verlockend. Wir beide gegen den Rest der Welt.«
»Das klingt wirklich verlockend, aber ich denke, es ist besser, wenn ich dich da nicht mit hineinziehe. Wir haben viel zusammen erlebt, aber alles hat irgendwann ein Ende«, sagte der Halbdämon reumütig.
»Vergiss es langsam. Dich trifft keine Schuld. Was damals passiert ist, konnte niemand vorhersehen.« Kurz überlegte Lydia, ob sie ihre Hand auf Evans Schulter ablegen sollte, aber sie wusste, dass ihm solche Gesten nicht viel bedeuteten und auch für sie fühlte es sich erzwungen an, also ließ sie davon ab.
»Aber ich hätte damit rechnen können, das ist ja das Schlimme. Wir drei waren ein gutes Team, aber jetzt bleibe ich am besten allein, dann kann ich auch niemanden enttäuschen.« Evan blickte seiner Freundin nachdenklich in die Augen.
Sie erkannte den Schmerz, der in ihm innewohnte. Den Schmerz, den er schon immer in sich trug und den er meist versuchte zu verstecken, doch früh erkannte Lydia, dass der Halbdämon ein gebrochenes Herz hatte und je weniger er darüber redete, desto mehr wurde ihr bewusst, wie sehr es ihn innerlich zerriss.
»Hör zu, was zwischen dir und Dúval passiert ist, lässt sich nicht rückgängig machen, aber du musst deine Schuldgefühle nicht auf ewig mit dir herumtragen. Schließe damit ab, richte deinen Blick nach vorn. Als ich dich kennengelernt habe, hattest du eine Liste voller seltsamer Namen und du wusstest gar nicht wo du als nächstes weitermachen sollst. Jetzt konzentriere dich auf deine nächste Aufgabe, dann wirst auch du hoffentlich einen Abschluss finden« sagte Lydia und blickte ihrem Gegenüber aufmunternd in die Augen. »Dafür hast du all die Jahre gekämpft und ich habe dich stets unterstützt.«
»Dafür bin ich dir auch sehr dankbar«, gab Evan mit einem leichten Schmunzeln zurück.
Eine laute Männerstimme erklang in dem Lokal. »Welche Bergziege muss man eigentlich ficken um hier ein Bier zu kriegen!?«
Nach diesen Worten bäumte sich Lydia auf und antwortete mit rasender Stimme in die Menge hinein. »Halt dein Maul oder ich komm und schlag dich windelweich! – Dein Bier kommt gleich!«
Sie wandte sich wieder Evan zu und ihre aufbrausende Miene war vollkommen aus ihrem Gesicht verschwunden. »Ich muss an die Arbeit, aber tue mir den Gefallen und pass auf dich auf.«
»Das werde ich«, versprach der Halbdämon.
»Gut, denn ich kann dich nicht beschützen.« Lydia zwinkerte ihm noch ein letztes Mal zu, ehe sie brüllend und mit erhobener Faust in der Menge der Gäste verschwand.
Evan schaute ihr noch kurz hinterher, ehe er zwei Münzen auf den Tresen legte und die Schenke verließ.
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